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Vollständige Gebrauchsüberlassung der Wohnung an Dritte

Das Gesetz (§ 543 II S.2 Nr.2 BGB) führt die vollständige unbefugte Überlassung an einen Dritten als Kündigungsgrund an.

Dabei spielt es keine Rolle, ob der Einziehende Familienangehöriger ist. Entscheidend ist, dass die Mietvertragspartei nicht mehr ohne weiteres erreichbar ist (Siehe LG Frankfurt, Urteil vom 09.10.1992, Az. 2/17 S 370/91 = NJW-RR 1993, 143).

Unzulässig ist eine vollständige Übergabe auf Dauer an Angehörige, da sich ansonsten der Vermieter de facto einem völlig neuen Vertragspartner ausgesetzt sieht, wovor er aber durch  § 540 BGB geschützt werden soll (LG Frankfurt, WuM 1989, 237; BayObLG, WuM 1984, 13; LG Frankfurt, a. a. O.).

OLG München, Az. 10 W 1789/10 Prüfungsfrist der Haftpflichtversicherung

 

OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 10 W 1789/10
1 0 1030/09 LG Passau

In dem Rechtsstreit

– Klägerin und Beschwerdegegnerin –

gegen

1.

2.

– Beklagte und Beschwerdeführer –

wegen Schadensersatzes;

hier: sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung

erläßt der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht … als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung am 29.07.2010 folgenden

Beschluß:

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 11.05.2010 gegen die Kostenentscheidung im Endurteil des LG Passau vom 29.04.2010 (Az. 1 O 1030/09) wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdeführer haben samtverbindlich die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren beträgt 2.731,80 €.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Hinsichtlich des Verfahrensgangs bis zum Endurteil und den der angefochtenen Kostenentscheidung zugrundeliegenden Erwägungen des Erstgerichts wird auf das Endurteil des LG Passau vom 29.04.2010 (Bl. 35/41 d.A.) Bezug genommen.

Gegen das den Beklagten am 03.05.2010 zugestellte Urteil legten diese mit Schriftsatz vom 11.05.2010 (Bl. 44/49 d.A.), beim LG Passau am 12.05.2010 eingegangen, sofortige Beschwerde ein, soweit ihnen darin die Tragung der Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden war. Die Klägerin nahm hierzu im Schriftsatz vom 26.05.2010 (Bl. 54/55 d.A.) Stellung. Mit Beschluß vom 23.07.2010 (Bl. 61 d.A.), den Parteien am selben Tag formlos bekanntgemacht, half das Erstgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab, wobei es sich auf die angefochtene Entscheidung bezog und lediglich ergänzend darauf hinwies, daß die Zweitbeklagte vorprozessual keine Originalfotos angefordert hatte.

II.

Die gem. § 567 I Nr. 1 ZPO i. Verb. m. § 91 a II 1 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Die Beschwerdeführer befanden sich im Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses (Erfüllung der klägerischen Schadensersatzforderung) im Verzug und hatten Anlaß zur Klageerhebung gegeben,

a) Schon der rechtliche Ausgangspunkt der Argumentation der Beschwerdeführer, die Beschwerdeführerin zu 2) habe einen Prüfzeitraum vor der Regulierung eines Unfalls von „in der Regel 4-6 Wochen”, der „bei weiterem Aufklärungs- und Rücksprachebedarf auch höher anzusetzen” sei (Beschwerdebegründung unter I 1) oder gar eine Prüffrist von „grundsätzlich 6 Wochen” (so im Schriftsatz vom 12.03.2010 (S. 2 = Bl. 26 d.A. unter 2 lit. a) ist fehlsam.

aa) Die Dauer der Prüffrist (vgl. § 14 I WG n.F.) wird in der Rechtsprechung unterschiedlich angesetzt, von 2 Wochen AG Erlangen (DAR 2005, 690) über mindestens 2-3 Wochen (OLG Saarbrücken MDR 2007, 1190= OLGR 2007, 441 = SP 2008, 51; OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 114 = OLGR 2008, 197 = NZV 2008, 151 = DAR 2007, 611; LG München I zfs 1984, 367: mindestens 12-15 Arbeitstage), 3 Wochen (LG München I VersR 1973, 871; LG Düsseldorf VersR 1981, 582 [583]; LG Bielefeld zfs 1988, 282; im Ergebnis auch OLG München [24. ZS] VersR 1979, 479), etwa 1 Monat (OLG Frankfurt a.M. OLGR 1996, 77) bis hin zu 4-6 Wochen (OLG Rostock OLG-NL 2001, 92; KG VersR 2009, 1262; OLG Dresden, Beschl. v. 29.06.2009 – 7 U 499/09 [Juris, dort Rz. 14] = NZV 2009, 604 [nur Ls.]; OLG Saarbrücken, Beschl. 09.02.2010 – 4 W 26/10 – 03 [Juris] ohne jede Auseinandersetzung mit dem Meinungsstand).

Nach Ansicht des Senats ist mit der h. M. davon auszugehen, daß die Dauer der Prüffrist von der Lage des Einzelfalls abhängig ist, in der Regel aber maximal 4 Wochen beträgt (vgl. in dieser Richtung OLG München [24. ZS] VersR 1979, 479; Senat, Urt. v. 21.06.2010 – 10 U 5028/09). Dabei ist auch der technische Fortschritt in der Schadensbearbeitung zu berücksichtigen, weshalb auch deutlich kürzere Fristen zu erwägen sind (vgl. OLG Saarbrücken MDR 2007, 1190 = OLGR 2007, 441 = SP 2008, 51: 2 Wochen; OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 114 = OLGR 2008, 197 = NZV 2008, 151 = DAR 2007, 611: 3 Wochen); daß die Haftpflichtversicherungen über einen „größeren Büroapparat verfügten, der „gewisse Mindestverzögerungen zur Folge hat (so OLG Rostock OLG-NL 2001, 92), ist nicht anzuerkennen, weil es sich um ein in der Sphäre des Schuldners angesiedeltes Problem handelt, das nicht auf den Geschädigten abgewälzt werden darf – andernfalls hätte es ein Schuldner in der Hand, sich durch unklare oder schwerfällige Organisationsstrukturen über längere Zeit folgenlos seinen Verpflichtungen zu entziehen.

bb) Die ggf. vom Versicherer als erforderlich angesehene Einsicht in die Ermittlungsakte hat grundsätzlich keinen Einfluß auf die Dauer dieser Prüffrist (und den Eintritt des Verzugs), weil sonst berechtigte Interessen des Geschädigten an einer zügigen Regulierung des Schadens ohne triftigen Grund unberücksichtigt blieben (OLG Saarbrücken NZV 1991, 312 = zfs 1991, 16 = AnwBI. 1991, 343; MDR 2007, 1190 = OLGR 2007, 441 = SP 2008, 51; OLG Dresden, Beschl. v. 29.06.2009 – 7 U 499/09 [Juris, dort Rz. 15] = NZV 2009, 604 [nur Ls.]; a.A. OLG Hamm VersR 1988, 1038 ohne eigenständige Begründung; OLG Frankfurt a.M. VersR 2004, 1595 ohne Auseinandersetzung mit der Gegenmeinung).

Vorliegend wird dies besonders deutlich, wenn die Beschwerdeführerin zu 2) erst mit Schreiben vom 25.06.2009, also rund 1 Monat nach dem Unfall vom 27.05.2009, bei der „Polizei” in Passau um Akteneinsicht bat (Bl. 23 der EA der StA Passau – Az. 310 Js 8428/09), ein Zeitraum, für den es keinen nachvollziehbaren oder gar anerkennenswerten Grund gibt. Auch die weitere Verzögerung in diesem Zusammenhang, nämlich die Bewilligung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft Passau erst am 16.10.2009 kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen – es ist gerichtskundig und auch den Versicherern bekannt, daß solche Akteneinsichten oft erst nach Monaten bewilligt werden (so zutreffend OLG Dresden a. a. O.).

cc) Somit ist gegen den vom Erstrichter im vorliegenden Fall als angemessen angesehenen Prüfzeitraum von 3 Wochen aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.

b) In tatsächlicher Hinsicht unzutreffend ist sodann die Behauptung der Beschwerdeführer, die Beschwerdeführerin zu 2) habe die „Vorlage aussagekräftiger Lichtbilder im Original erbeten” (Beschwerdebegründung unter I 2 lit. a). Im Schreiben an die Klägervertreter vom 24.10.2009 (Anl. K 4 = B 2) werden nämlich nur Fotos, auf denen die Beschädigungen deutlich zu erkennen sind1 und die Reparaturrechnung im Original angefordert. Die Beschwerdeführerin zu 2) hat dann auch entgegen ihres in der Beschwerdebegründung wiederholten Vortrags ohne die Originalfotos reguliert, worauf die Klägerin im übrigen bereits in ihrer erstinstanzlichen Replik vom 11.02.2010 (S. 2 = Bl. 18 d.A.) zutreffend hingewiesen hat, was angesichts eines entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin zu 2) keineswegs „derart hohen Schadens” von unter 20.000 € in einem nach Aktenlage unproblematischen Fall auch nicht verwunderlich ist, wie der Senat als Spezialsenat für Straßen-, Eisenbahn- und Luftverkehrsunfälle aus eigener Sachkunde feststellen kann.

Unbeschadet der Tatsache, daß das LG Passau über die Gehörsrüge in eigener Zuständigkeit zu entscheiden haben wird, ist im Zusammenhang mit dem von den Beschwerdeführern wiederholt thematisierten Frage der angeblich angeforderten Originallichtbilder unter dem Gesichtspunkt der Richtigkeitskontrolle der angefochtenen Kostenentscheidung festzuhalten, daß sie auch hinsichtlich der Begründungsdichte entgegen der Behauptung der Beschwerdeführer (Beschwerdebegründung unter II) keine Mängel aufweist: Nach § 313 III ZPO sollen die Entscheidungsgründe nur eine „kurze Zusammenfassung” der Erwägungen enthalten, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Ein Gericht braucht deshalb nicht jedes Parteivorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu behandeln (BVerfG RdL 2004, 68 [unter II 1 a]; BGHZ 3, 162 [175]; BGHZ 154, 288 [300 unter II 3 b bb (3)] = NJW 2003, 1943 [1947]; BGH NJOZ 2005, 3387 [3388]; BAG NZA 2005, 652 [653] = MDR 2005, 1008; Senat, Beschl. v. 25.11.2005 – 10 U 2378/05). Allein der Umstand, daß sich die Gründe einer Entscheidung mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinandersetzen, rechtfertigt daher nicht die Annahme, das Gericht habe diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung nicht erwogen. Vielmehr bedarf es hierzu besonderer Umstände (vgl. BVerfG a.a.O.; BGH a.a.O.; BAG a.a.O.; Senat, Beschl. v. 25.11.2005 – 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 – 10 U 3590/06 sowie Urt. v. 06.10.2006 – 10 U 1963/06). Nachdem die behauptete Anforderung von Originallichtbilder keinerlei überprüfbare tatsächliche Grundlage im Beklagtenvortrag hatte, bestand für den Erstrichter keine Veranlassung, sich mit dieser Frage näher auseinanderzusetzen.

c) Wenn man, worauf die Beschwerdeführer im Ausgangspunkt zutreffend abheben, davon ausgeht, daß die Prüffrist erst durch den Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens in Lauf gesetzt wird (Senat, Urt. v. 21.06.2010 – 10 U 5028/09 m. w. N.), so lief die 3-wöchige Frist vom 20.10.2009, dem Tag des Zugangs der ersten spezifizierten Schadensgeltendmachung vom 19.10.2009 – Anl. B 1) an gerechnet am 10.11.2009 ab (eine Fehlinformation in diesem Schreiben betreffend die Inanspruchnahme der klägerischen Vollkaskoversicherung ist irrelevant, weil das Anspruchsschreiben dadurch nicht unspezifiziert wird und die Beschwerdeführerin auch die zweifelsfrei nicht von der Vollkaskoversicherung erstatteten Schadensposten nicht zeitnah ersetzt hat, worauf die Klägerin in Ihrem Schriftsatz vom 16.03.2010 [Bl. 28 d.A.] zutreffend hingewiesen hat), so daß sich die Beschwerdeführer entgegen dem Beschwerdevortrag (Beschwerdebegründung unter I 3 pr. und lit. a) seit diesem Zeitpunkt, spätestens aber seit dem 12.11.2009 und damit selbstredend sowohl bei Anhängigkeit der Klage (04.12.2009) als auch bei Rechts-hängigkeit (09./10.12.2009) in Verzug befanden und Anlaß zur Klageerhebung gaben (eine Erfüllung der Schadensersatzforderung erfolgte erst in drei Teilbeträgen am 23.12.2009, 15.01.2010 und 18.02.2010).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 I, 100 IV ZPO. Gem. Nr. 1810 KV-GKG beträgt die Gerichtsgebühr 75,- €.

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO.

4. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nach § 574 II ZPO nicht gegeben sind. Mit Rücksicht darauf, daß die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

OLG Koblenz v. 26.01.2004, 12 U 1439/02 Mithaftung beim Überholen einer Kolonne

OLG Koblenz v. 26.01.2004: Haftungsanteil von 2/3 zu Lasten eines Motorradfahrers, der zwei langsam fahrende eingeordnete Pkw überholt, von denen einer links blinkt

Das OLG Koblenz DAR 2005, 403 f. = NZV 2005, 413 f. (Urteil vom 26.01.2004 – 12 U 1439/02) hat die Haftung im Verhältnis 2/3 zu 1/3 zu Lasten eines Kradfahrers verteilt, der zwei Pkw überholte, die beide langsam und zur Mitte eingeordnet fuhren und von denen an einem Fahrzeug das linke Blinklicht eingeschaltet war:

Zum Sachverhalt:: Der Kl. befuhr am 19. 5. 1995, einem Freitag, gegen 17.05 Uhr in T. mit seinem Motorrad Marke BMW 750 die L.-Straße … . Die L. -Straße verläuft an der Unfallstelle gerade. Die etwa 8,20 m breite gepflasterte Fahrbahn war zur Unfallzeit nicht mit einem Mittelstreifen versehen. Vor dem Kl. fuhr der Zeuge D. mit seinem Pkw VW Golf Cabrio (mit geöffnetem Verdeck), davor der Erstbeklagte mit dem Pkw VW Golf, dessen Halterin die Zweitbeklagte und das bei der Drittbeklagten gegen Haftpflicht versichert ist, in dieselbe Richtung. Die Pkws fuhren dicht hintereinander. Sowohl der Zeuge D. als auch der Erstbeklagte wollten nach links auf das Betriebsgelände der Firma U. abbiegen … . Beide Pkws hatten deshalb ihre Fahrgeschwindigkeit deutlich verlangsamt. Der Erstbeklagte hatte sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet, fuhr nur noch mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h und hatte den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Der Kl. überholte das Fahrzeug des Zeugen D und setzte — für den Erstbeklagten erkennbar — auch zum Überholen des weiteren Fahrzeugs an. Er fuhr etwa mit 50 km/h. Der Kl. machte eine Vollbremsung und kam zu Fall, als der Erstbeklagte zum Abbiegen ansetzte; der Kl. rutschte mit seinem Motorrad gegen das Auto des Erstbeklagten.

Das LG hat der Klage nach Maßgabe einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zu Lasten des Kl. statt-gegeben: Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach dem fehlerfrei festgestellten Sachverhalt sind die Wertungen des LG und seine Bestimmung der Schadenshöhe, soweit diese von der Berufung überhaupt angegriffen wird, nicht zu beanstanden.

1. Die Haftungsquote ist vom LG im Ergebnis zu Recht auf Haftungsanteile von 1/3 zu 2/3 zu Lasten des Kl. bestimmt worden.

Den Erstbeklagten trifft ein Verschulden insoweit, als der Kl. für ihn erkennbar gewesen wäre. Bog er gleichwohl ab, so hat er § 9 Abs. 1 und Abs. 5 StVO verletzt. Der Kl. hin-gegen hat § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verletzt. Eine unklare Verkehrslage, die nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ein Überholen verbietet, liegt vor, wenn nach allen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 5 StVO Rdn. 34). Sie ist auch dann gegeben, wenn sich nicht sicher beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird (KG NJW ‚1987, 1251). Dies ist dann der Fall, wenn bei einem vorausfahrenden Fahrzeug der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird und dies der nachfolgende Verkehrsteilnehmer erkennen konnte. Dagegen liegt eine unklare Verkehrslage nicht schon dann vor, wenn das vorausfahrende Fahrzeug verlangsamt, selbst wenn es sich bereits etwas zur Fahrbahnmitte eingeordnet haben sollte. Ein solcher Fall lag nach den vom LG fehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht vor. Denn danach hatte der Erstbeklagte sich nicht nur zur Fahrbahnmitte nach links eingeordnet; er hatte auch seine Fahrgeschwindigkeit deutlich verringert und den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Hinzu kam, dass kurz hintereinander zwei Fahrzeuge vorausfuhren. Dann aber lag eine Verkehrslage vor, bei der dem Kl. das Überholen nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO untersagt war.

Die Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Verletzten und des Ersatzpflichtigen gem. § 17 StVG ergibt in dieser Lage nach den Maßstäben der Rspr. Folgendes: Wer bei unklarer Verkehrslage überholt, haftet selbst grundsätzlich mindestens nach einer Quote von einem Drittel, so wenn der Abbieger zwar blinkt, vor dem Abbiegen aber die zweite Rückschau (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO) unterlässt. Die Haftung des Überholers kann sich auf zwei Drittel (KG VerkMitt 1993, 59 = NZV 1993, 272) oder sogar auf drei Viertel (KG VerkMitt 1995, 92) steigern, wenn der Abbieger blinkt, sich zur Mitte einordnet, aber die zweite Rückschau versäumt und in dieser Situation nur rechts hätte überholt werden dürfen (KG Urteil vom 1. 2. 1999 — 12 U 8772/97). So lag es hier; wobei hinzukommt, dass dem Kl. zwei Fahrzeuge mit gleichermaßen erkennbarer Einordnung und Geschwindigkeitsreduzierung vorausfuhren. Auch das Überholen mehrerer vorausfahrender Fahrzeuge bei unklarer Verkehrslage wird in der Rspr. zum Anlass genommen, die Mithaftungsquote des Überholers zu erhöhen (vgl. OLG Hamm NZV 1993, 313).

Nach allem ist die Annahme des LG, die Mithaftung des Kl. belaufe sich auf zwei Drittel, jedenfalls nicht zu seinem Nachteil fehlerhaft (vgl. OLG Saarbrücken OLG-Report Saarbrücken 1999, 255 f.).

KG, Urteil vom 27. 7. 1998 – 12 U 3625/97 Vorfahrtsverstoß Anscheinsbeweis

Geltungsbereich einer Geschwindigkeitsbeschränkung an Baustelle; Kollision an unübersichtlicher Kreuzung
StVG § 17; StVO §§ 8, 40, 41

1. Ist zusammen mit dem Zeichen 123 zu § 40 StVO (Baustelle) durch Zeichen 274 eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h angeordnet, so gilt diese auch dann bis zum Ende des als solchen erkennbaren Baustellenbereichs, wenn sich vor dem Ende der Baustelle ein weiteres Zeichen 274 mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h befindet.

2. Bei einem Zusammenstoß zwischen zwei Kfz auf einer vorfahrtgeregelten Kreuzung oder Einmündung spricht regelmäßig der Anscheinsbeweis für eine Vorfahrtverletzung des Wartepflichtigen, der daher darzulegen und zu beweisen hat, seine Sorgfaltspflichten nicht verletzt zu haben (Senat, DAR 1992, 433). (Leitsätze RA GG)

KG, Urteil vom 27. 7. 1998 – 12 U 3625/97

Zum Sachverhalt:
Der Zeuge P befuhr mit dem Taxi des Klägers gegen 0 Uhr die G.-Straße. Dort war ein mobiles Verkehrsschild „Baustelle“ (Zeichen 123) mit Geschwindigkeitsbeschränkung (Zeichen 274) auf 30 km/h aufgestellt. Am Beginn des Baustellenbereichs befand sich ein weiteres Zeichen 274 mit Beschränkung auf 50 km/h. Aus der am Ende der Baustelle von rechts einmündenden, durch Zeichen 205 („Vorfahrt gewähren“) untergeordneten F.-Straße wollte der Beklagte mit seinem Pkw nach links in die durch die Baustelle schwer einsehbare und verengte G.-Straße einbiegen. Als er etwa 1,5 m in diese eingefahren war, kam es zum Zusammenstoß mit dem klägerischen Taxi, wobei dessen Kollisionsgeschwindigkeit ca. 60 km/h betrug.
Das Landgericht hat der Schadensersatzklage des Taxiunternehmers nur auf der Basis einer Quote von ein Viertel stattgegeben. Das Kammergericht hat diese Haftungsverteilung bestätigt.

Aus den Gründen:
Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen die zu seinen Lasten festgesetzte (Mit-)Haftungsquote von drei Vierteln, weil das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass der Zeuge P die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 100% überschritten habe, da – trotz Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor der Einmündung auf 30 km/h – seine Kollisionsgeschwindigkeit mit 60 km/h festgestellt worden sei. Da nach der im Unfallzeitpunkt auf der G.-Straße vorhandenen Beschilderung eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gegolten habe, läge lediglich eine – haftungsrechtlich nicht relevante – Überschreitung um 10 km/h vor, so dass seine Mithaftung ausscheide.

Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen:

aa) Für Kfz, die die G.-Straße in nördlicher Richtung befuhren, war die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt im Bereich zwischen J.-Straße und F.-Straße ab dem Standpunkt des mobilen Baustellenschildes mit dem Zeichen 274 zu § 41 Absatz 2 Nr. 7 StVO (zulässige Höchstgeschwindigkeit „30“) unter dem Zeichen 123 zu § 40 StVO (Baustelle) bis zum Ende der Baustelle an der Einmündung der F.-Straße.
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass sich vor der Unfallkreuzung ein weiteres gültiges Verkehrsschild (Zeichen 274) befunden habe, durch welches die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h festgesetzt sei, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Zwar trifft es ausweislich der vorliegenden Lichtbilder zu, dass direkt in Höhe des Beginns der Baustelle, des Bauzaunes und des Fußgängertunnels sich ein derartiges Schild befand. Dennoch ist dem Kläger vorzuwerfen, dass er bis zur Einmündung der F.-Straße die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h erheblich überschritten hat. Denn die Länge der durch Zeichen 274 angeordneten Verbotsstrecke wird ausschließlich durch § 41 Nr. 7 StVO bestimmt (vgl. Jagusch/ Hentschel, StraßenverkehrsR, 34. Aufl., § 41 StVO Rdnr. 246 zu Z 274, 276); danach endet die Verbotsstrecke in der Regel erst mit einem Aufhebungszeichen (Zeichen 278 bis 282 zu § 41 StVO).

Ist ein Aufhebungszeichen nicht vorhanden und ist auch die Länge der Verbotsstrecke nicht auf einem Zusatzschild angegeben, so gilt nach § 41 Nr. 7 StVO: „Das Ende einer Verbotsstrecke ist nicht gekennzeichnet, wenn das Streckenverbotszeichen zusammen mit einem Gefahrzeichen angebracht ist und sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht“.
Da das Streckenverbot, die Geschwindigkeit von 30 km/h zu überschreiten, zusammen mit dem Gefahrzeichen 123 zu § 40 StVO (Baustelle) angebracht und das Ende der Baustelle im Straßenverlauf der G.-Straße eindeutig war, endete die Geschwindigkeitsbegrenzung erst am Ende der Baustelle, also an der Einmündung der F.-Straße.

Das Vorhandensein des weiteren Schildes 274 zu Beginn des eigentlichen Baustellenbereichs, das die Geschwindigkeit auf 50 km/h beschränkte, war rechtlich ohne Bedeutung, da die wirksam angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h für den Bereich der Baustelle nicht zuvor oder gleichzeitig durch ein Aufhebungszeichen 278 bis 282 zu § 41 StVO aufgehoben war.

War für den Verkehrsteilnehmer durch die Art der Beschilderung eine Unklarheit entstanden, so hatte dieser im Zweifel das vorsichtigere Verhalten zu wählen (OLG Stuttgart, VRS 36, 134; Jagusch/ Hentschel, § 39 StVO Rdnr. 34). Der Fahrer des klägerischen Taxi durfte also – soweit er das Zeichen 274 „50 km/h“ wahrgenommen hat – nicht davon ausgehen, dass die durch Zeichen 123 erkennbar wegen der Baustelle angeordnete und auf die Baustelle bezogene Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h vor der Baustelle endete; jedenfalls mußte die Art der Beschilderung bei dem Taxifahrer eine Unklarheit hinsichtlich der zulässigen Höchstgeschwindigkeit aufkommen lassen, so dass er die vorsichtigere Fahrweise, also höchstens eine Geschwindigkeit von 30 km/h bis zum Ende der Baustelle, hätte wählen müssen.

b) … Nach Auffassung des Senats hat das Landgericht die Mithaftungsquote der Beklagten im Ergebnis zutreffend mit ¼ bemessen.

aa) … Der Vorfahrtberechtigte darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass sein Vorfahrtrecht von dem Wartepflichtigen beachtet wird. Dieser Vertrauensgrundsatz gilt auch gegenüber zunächst nicht sichtbaren Verkehrsteilnehmern (BGH, NJW 1985, 2757f.; Senat, Urt. v. 15. 12. 1986 – 12 U 2121/86). Ein verkehrswidriges Verhalten des Berechtigten beseitigt dessen Vorfahrt grundsätzlich nicht; er verliert deshalb seine Vorfahrt auch nicht durch eine überhöhte Geschwindigkeit (BGH, DAR 1986, 142; KG, DAR 1976, 240 sowie Urt. v. 25. 4. 1996 – 12 U 1631/95 – und v. 15. 6. 1998 – 12 U 2480/97; Jagusch/ Hentschel, § 8 StVO Rdnr. 30).
Wer die Vorfahrt zu beachten hat, darf nach § 8 Absatz 2 Satz 2 StVO nur weiterfahren, wenn er übersehen kann, dass er den Vorfahrtberechtigten weder gefährdet noch wesentlich behindert. Kann er dies nicht übersehen, weil die Straßenstelle unübersichtlich ist, darf er sich nach § 8 Absatz 2 Satz 3 StVO vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hineintasten, bis er Übersicht hat. „Hineintasten“ bedeutet zentimeterweises Vorrollen bis zum Übersichtspunkt mit der Möglichkeit sofort anzuhalten (BGH, NJW 1985, 2757; Jagusch/ Hentschel, § 8 StVO Rdnr. 58). Der Wartepflichtige genügt seiner Pflicht nicht, wenn er die Schnittlinie der bevorrechtigten Straße überfährt und damit ganz oder teilweise die Fahrspur eines bevorrechtigten Verkehrsteilnehmers sperrt (Senat, Urt. v. 14. 10. 1993 – 12 U 3283/92; v. 16. 3. 1995 – 12 U 6279/93 – sowie v. 11. 5. 1995 – 12 U 8398/93).

Bei einem Zusammenstoß zwischen zwei Kfz auf einer vorfahrtgeregelten Kreuzung oder Einmündung spricht regelmäßig der Anscheinsbeweis für eine Vorfahrtverletzung des Wartepflichtigen (BGH, NJW 1982, 2668; 1976, 1317; KG, DAR 1984, 85f.;1976, 240), der daher darzulegen und zu beweisen hat, seine Sorgfaltspflichten nicht verletzt zu haben (Senat, DAR 1992, 433).

bb) Die Beklagten haben nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1) seinen besonderen Sorgfaltspflichten aus § 8 Absatz 2 StVO nachgekommen ist. … Nach der Klageerwiderung …, „fuhr der Beklagte zu 1) vorsichtig in die G.-Straße bis auf Sichthöhe hinein“ und hielt sein Fahrzeug dann an. Hieraus folgt ohne weiteres, dass der Beklagte zu 1) nicht zentimeterweise, also Zentimeter für Zentimeter, vorgerollt ist bis zum Übersichtspunkt mit der Möglichkeit, sofort anzuhalten, sich also nicht i.S. des § 8 Absatz 2 Satz 3 StVO „hineingetastet hat“. Dies hätte nämlich bedeutet, dass er mit seinem Wagen jeweils nur wenige Zentimeter langsam vorgerollt und dann wieder angehalten und dieses Fahrmanöver über einen längeren Zeitraum mehrmals wiederholt hätte (so auch OLG Düsseldorf, VersR 1976, 1179). …

c) Da von keiner der Parteien das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses nach § 7 Absatz 2 Satz 1 StVG geltend gemacht wird und ein solches Ereignis auch nicht in Betracht kommt, ist nach § 17 Absatz 1 StVG eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftwagen ausgehenden Betriebsgefahr geboten; bei dieser Abwägung sind neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises anzuwenden sind (st. Rspr., vgl. BGH, VersR 1996, 513, 514 = NZV 1996, 231).
aa) Erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen des bevorrechtigten Verkehrs sind geeignet, zur Mithaftung des Vorfahrtberechtigten – in Sonderfällen auch zur Alleinhaftung – zu führen. Das Maß der Mithaftung hängt von der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung sowie den weiteren Umständen des Einzelfalles ab (BGH, NJW 1984, 1962 = DAR 1984, 220; Senat, VerkMitt 1982, 94).
Konnte der Einbieger den Vorfahrtberechtigten, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Stadtverkehr um 50 km/h (100%) überschritt, nicht erkennen, weil dieser sich im Zeitpunkt des Einbiegens des Wartepflichtigen noch jenseits einer 195 m entfernten Kurve befand, haftet der Bevorrechtigte in vollem Umfang, wenn er dann etwa 16 m hinter der Einmündung auf das Fahrzeug des Wartepflichtigen von hinten auffährt (KG, DAR 1992, 433, 434). Überschreitet der erkennbar Bevorrechtigte die Höchstgeschwindigkeit um etwa 50 km/h (100%), kann dem wartepflichtigen Abbieger ein Ersatzanspruch nach einer Quote von 2/3 zustehen (BGH, NJW 1984 1962 = DAR 1984, 220).

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von etwa 34 km/h oder 30 km/h (80 km/h statt zugelassener 50 km/h: Senat, VerkMitt 1982, 94, 95 oder um 25 km/h (Senat, Urt. v. 29. 11. 1994 – 12 U 1635/94) kommt ein Ersatzanspruch des wartepflichtigen Linksabbiegers nach einer Quote von ½ in Betracht.

Im Hinblick auf die bewiesene Geschwindigkeit des vorfahrtberechtigten Fahrzeuges des Klägers von jedenfalls 60 km/h statt zugelassener 30 km/h ist nach § 17 Absatz 1 StVG gegenüber dem sorgfaltswidrig abbiegenden Beklagten zu 1) eine Haftungsquote von ¾ gerechtfertigt, nicht aber eine höhere. Denn nach der Rechtsprechung des BGH, (NJW 1984, 1962) entlastet nicht bereits eine mehr als 60%ige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den bevorrechtigten Kraftfahrer stets den Wartepflichtigen, weil dieser etwa darauf vertrauen dürfe, der Bevorrechtigte werde die Geschwindigkeit nicht in grober und außergewöhnlicher Weise überschreiten. Wenn im vorliegenden Fall eine Haftungsquote von ¾ zu Lasten des Bevorrechtigten – und nicht nur wie in der Entscheidung BGH, NJW 1984, 1962, von 2/3 – für angemessen gehalten wird, so ist dies vor dem Hintergrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalles gerechtfertigt. So konnte der vorfahrtberechtigte Fahrer des Taxi des Klägers nicht auf für ihn grünes Ampellicht vertrauen.

Auch wenn es grundsätzlich geboten erscheint, der Vorfahrtverletzung als Unfallursache stärkeres Gewicht beizumessen als der Geschwindigkeitsüberschreitung, ist die nicht unerhebliche Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit im innerstädtischen Verkehr wenigstens gleichwertig, wenn sie unfallursächlich war (Senat, Urt. v. 31. 1. 1994 – 12 U 3121/92). Dies war nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen W der Fall, da der Fahrer des klägerischen Taxi bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 30 km/h das Taxi noch in einer Entfernung von etwa 4 m vor dem Kollisionsort hätte anhalten können.

Dem Beklagten zu 1) fällt der Vorwurf zur Last, langsam in den Einmündungsbereich vorgefahren zu sein, bis er Sicht nach links gewinnen konnte, obwohl diese Fahrweise im Hinblick auf die Pflichten aus § 8 Absatz 2 StVO verkehrswidrig war, da er dadurch für den Fahrer eines herannahenden vorfahrtberechtigten Fahrzeuges verhältnismäßig plötzlich in dessen Fahrstreifen fuhr und diesen teilweise blockierte. In einem derartigen Fall ist – ohne überhöhte Geschwindigkeit des Vorfahrtberechtigten – die Haftung des Wartepflichtigen zu 100% auch dann gegeben, wenn die Sicht auf die Kreuzungsecke und den bevorrechtigten Verkehr durch einen Bauzaun verdeckt war (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1976, 1179).

Im Hinblick auf die erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um wenigstens 30 km/h (100 %) durch den Fahrer des klägerischen Taxi hält auch der Senat den Mithaftungsanteil des klägerischen Fahrzeuges für dreimal so hoch wie den des Beklagten zu 1). Daher ist die vom Landgericht festgesetzte Quote von ¾ zu ¼ zu Lasten des Klägers angemessen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Straßenverhältnisse (Kopfsteinpflaster) und der Witterung (Nieselregen) sowie der Dunkelheit.

Für den Mithaftungsanteil der Beklagten ist auch die Betriebsgefahr des Mazda des Beklagten zu 1) zu berücksichtigen, der unter Verletzung des Vorfahrtrechtes des klägerischen Taxi etwa 1,5 m in die durch eine Baustelle ohnehin schon stark eingeengte Vorfahrtstraße langsam vorgefahren ist; allein die Betriebsgefahr schlägt sich zu Lasten des Wartepflichtigen in erheblichem Umfang nieder (vgl. OLG Hamm, NZV 1996, 69: 50% Haftung des wartepflichtigen Pkw aus reiner Betriebsgefahr gegenüber einem bevorrechtigten Motorrad mit Geschwindigkeitsüberschreitung um 20%; OLG Schleswig, NZV 1994, 439: 30% Haftung der wartepflichtigen Zugmaschine aus reiner Betriebsgefahr bei Sichtbehinderung durch Nebel gegenüber bevorrechtigtem Pkw mit Geschwindigkeit von 64 km/h statt zugelassener 50 km/h).

Die Beklagten können sich für ihre Auffassung, sie bräuchten für den Schaden des Klägers nicht, auch nicht zu 25%, zu haften, auch nicht auf die Entscheidung des Senats vom 22. 6. 1992 (DAR 1992, 433) berufen; denn dort wurde entschieden, dass ein Wartepflichtiger nicht damit zu rechnen braucht, dass bei Regen und Dunkelheit sich ein Vorfahrtberechtigter mit 100 km/h statt zugelassener 50 km/h von rechts nähern und dann von hinten auffahren würde, der im Zeitpunkt des Einbiegens des Wartepflichtigen nach links noch nicht sichtbar war, weil er sich noch jenseits einer 195 m entfernten Kurve befand. Dieser Sachverhalt ist mit dem streitgegenständlichen Fall offensichtlich nicht vergleichbar.

Fahrverbot für erlaubnisfreie Fahrzeuge

Oberverwaltungsgericht
Rheinland-PfalzBeschluss

In dem Verwaltungsrechtsstreit

……..

 

– Antragsteller und Beschwerdeführer –

 

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dres. Damm und Busch, Westliche Ringstraße 8, 67227 Frankenthal,

 

gegen

 

den Rhein-Pfalz-Kreis, vertreten durch den Landrat, Europaplatz 5, 67063 Ludwigshafen,

– Antragsgegner und Beschwerdegegner –

 

 

wegen Fahrerlaubnis
hier: aufschiebende Wirkung

 

hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 25. September 2009, an der teilgenommen haben

Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling
Richter am Oberverwaltungsgericht Möller
Richterin am Verwaltungsgericht Jahn-Riehl

 

beschlossen:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 20. August 2009 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. August 2009 wiederhergestellt.

Der Antragsgegner hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,– € festgesetzt.

 

G r ü n d e

Die Beschwerde ist zulässig und hat aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hätte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 4. August 2009 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wieder­herstellen müssen. Das gegen den Antragsteller ausgesprochene Verbot, fahr­erlaubnisfreie Fahrzeuge (Mofa und Fahrrad) zu führen, erweist sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, weil der Antragsgegner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend beachtet hat. Ein überwiegendes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug der offensichtlich rechtswidrigen Verbotsverfügung besteht nicht.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – hat die Fahrer­laubnisbehörde das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen oder Tieren zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen, wenn sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet hierzu erweist. Die fehlende Eignung des Antragstellers zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ist derzeit nicht erwiesen. Der Antragsgegner schließt auf die Ungeeignetheit des Antragstellers, weil er kein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung vorgelegt hat; dieser Schluss ist aber nicht zulässig, weil das medizinisch-psychologische Gutachten von ihm zu Unrecht gefordert wurde.

Als Rechtsgrundlage für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung gegenüber dem Antragsteller kommt hier, worauf sich der Antrags­gegner auch stützt, § 3 Abs. 2 FeV i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV in Betracht. Gemäß § 3 Abs. 2 FeV finden die §§ 10 bis 14 FeV entsprechend Anwendung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist. Welche Tat­sachen die Eignung einer Person, mit nicht fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen oder Tieren am Straßenverkehr teilzunehmen, in Frage stellen können, ist im Straßenverkehrsgesetz oder in der Fahrerlaubnisverordnung nicht näher geregelt. Auch hier gilt zwar grundsätzlich der Eignungsbegriff des § 2 Abs. 4 StVG, wonach geeignet ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anfor­derungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat (vgl. Hentschel, Straßen­verkehrsrecht, 40. Auflage 2009, § 3 Rdnr. 1 mit Hinweis auf die Begründung zur Verordnung, VkBl 1998, 1061). Hieraus ergibt sich aber noch nicht, welche körperlichen oder geistigen Einschränkungen und Erkrankungen die Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ausschließen.

Anlage 4 zur FeV, die regelhaft solche Erkrankungen und Mängel, insbesondere den Alkoholmissbrauch definiert, kann hier nicht herangezogen werden, da sie sich speziell auf die Eignung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Weil die von § 3 Abs. 2 FeV geforderten Tatsachen erst die entsprechende Geltung der §§ 10 bis 14 FeV und der hierzu ergangenen Anlagen eröffnen, kann das Vorliegen solcher Tatsachen nicht schon mit den Voraus­setzungen dieser Regelungen begründet werden (vgl. zur Problematik der Rechtsfolgenverweisung auch VG Sigmaringen, Beschluss vom 28. Januar 2002 – 4 K 2083/01 -, juris; gegen die ungeprüfte Übernahme der Anforderungen auch Geiger, Verbot des Führens nicht fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge, SVR 2007, 161; für eine Anwendung der Vorschriften für Fahrerlaubnisinhaber Bayerischer VGH, Beschlüsse vom 11. September 2008 – 11 CS 08.1188 – und vom 27. März 2006 – 11 ZB 06.41 -, beide juris).

Allerdings kann eine Fahrt mit dem Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,33 ‰eine Tatsache darstellen, welche die Eignung einer Person zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge berührt. Auch bei der Nutzung von Mofas und Fahrrädern beeinträchtigt die Wirkung erheblicher Alkoholmengen die Fahrsicherheit und das Reaktionsvermögen und damit die sichere Teilnahme am Straßenverkehr. Ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ geht die strafgerichtliche Rechtsprechung bei einem Fahrradfahrer von absoluter Fahruntüchtigkeit und einer gemäß § 316 StGB strafwürdigen abstrakten Gefährdung des Straßenverkehrs aus (vgl. Hentschel, a.a.O., § 316 StGB Rdnrn. 1, 17). Nach allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen weist das Erreichen von Blutalkoholkonzentrationen ab 1,6 ‰ auf deutlich normabweichende Trink­gewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit hin, die mit der Unfähigkeit zu einer realistischen Einschätzung der eigenen Alkoholisierung und der dadurch ausgelösten Verkehrsrisiken verbunden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 – 3 C 32.07 -, juris). Diese allgemeinen Erkenntnisse zu den Anzeichen und Folgen eines übermäßigen Alkoholkonsums gelten nicht nur für Kraftfahrer, sondern vom Grundsatz her auch für Personen, die ausschließlich mit einem Fahrrad oder einem Mofa am Straßenverkehr teilnehmen. Auch bei ihnen besteht im Fall eines chronisch überhöhten Alkoholkonsums und der Gewöhnung an die Giftwirkung des Alkohols die Gefahr, dass sie ihre Fähigkeit zur sicheren Verkehrsteilnahme nicht mehr realistisch einschätzen können und deshalb wiederholt unter erheblichem Alkoholeinfluss fahren werden. Der Antragsteller hat die Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰, die diese Bedenken im Regelfall begründet, noch deutlich überschritten.

Liegen damit Tatsachen vor, die Zweifel an seiner Fahreignung als Fahrrad- und Mofafahrer begründen können, ist § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV grundsätzlich anwendbar. Nach dieser Vorschrift ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr geführt wurde. Der Antragsteller hat ein Fahrzeug, nämlich ein Fahrrad, mit einer Blut­alkoholkonzentration von 2,33 ‰ geführt. Allerdings gilt § 13 FeV im Zusammen­hang mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen nicht unmittelbar, sondern nur entsprechend. Dies bedeutet, dass die Regelung hier nicht schematisch angewendet werden darf, sondern entsprechend der Besonderheit, dass ausschließlich eine Verkehrsteilnahme mit einem fahrerlaubnisfreien Fahrzeug inmitten steht.

Die Teilnahme mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen am öffentlichen Straßen­verkehr, insbesondere mit einem Fahrrad, fällt in den Kernbereich des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz – GG -. Die Fortbewegung mit diesem Verkehrsmittel ist grundsätzlich voraus­setzungslos allen Personen, auch kleineren Kindern und alten Menschen, erlaubt und hat für den Personenkreis, der nicht über eine Fahrerlaubnis verfügt, ganz wesentliche Bedeutung für ihre persönliche Bewegungsfreiheit. Fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge beeinträchtigen überdies die Sicherheit des Straßenverkehrs und anderer Verkehrsteilnehmer schon wegen ihrer erheblich geringeren Geschwin­digkeit typischerweise nicht im gleichen Ausmaß wie Kraftfahrzeuge (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 1979 – 2 BvL 7/78 -, juris). Entsprechend ihrer unterschied­lichen Betriebsgefahren stuft der Gesetzgeber deshalb auch selbst die Zulassung der verschiedenen Fahrzeuge zum Straßenverkehr ab, indem er die Nutzung von Kraftfahrzeugen einer Fahrerlaubnispflicht, die Nutzung von Mofas einer Prüf­berechtigung unterwirft und alle sonstigen Fahrzeuge ohne weiteres zulässt. Er nimmt damit die Gefahr, dass unerkannt ungeeignete oder unfähige Personen diese erlaubnisfreien Verkehrsmittel benutzen, zunächst hin und ordnet sie grund­sätzlich dem allgemeinen Lebensrisiko der Verkehrsteilnehmer zu. Jede Einschränkung dieser Grundfortbewegungsarten muss diese Wertentscheidung des Gesetzgebers beachten und in ihrem Rahmen den Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit wahren. Dies gilt bereits für Maßnahmen der Verkehrsbehörde im Vorfeld einer Beschränkung oder eines Verbots, namentlich für die gemäß § 13 FeV vorgesehenen Maßnahmen zur Klärung der Fahreignung.

Von den hiernach möglichen Aufklärungsmaßnahmen stellt die medizinisch-psychologische Untersuchung aber den schwerwiegendsten Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar. Sie ist mit der Erhebung und Offen­legung höchstpersönlicher Daten und Informationen in einer verhörähnlichen Situation verbunden. Schon bei Fahrerlaubnisinhabern und -bewerbern muss die Anordnung dieser Untersuchung das Übermaßverbot beachten und das Spannungsverhältnis berücksichtigen, das zwischen dem Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnis­inhabers andererseits besteht, von Gefahrerforschungseingriffen verschont zu bleiben, die mit erheblichen Belastungen für ihn verbunden sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Juni 1993 – BvR 689/92 -, NJW 1003, 2365 und vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96 -, NJW 2002, 2378, beide zitiert aus juris).

§ 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV verlangt diese Maßnahme gegenüber Fahrerlaubnis­inhabern und -bewerbern bei einer Teilnahme am Straßenverkehr – auch mit einem Fahrrad – ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ pauschal und ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalls, weil bei einem Fahrerlaubnis­inhaber, der beim Fahrradfahren nicht zwischen Alkoholkonsum und Fahren trennen konnte, jederzeit damit gerechnet werden muss, dass er auch mit einem Kraftfahrzeug fährt und damit die Gefährdung für die Verkehrssicherheit noch steigert (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 – 3 C 32/07 -, NJW 2008, 2601, juris). Diese gesteigerte Gefährdung der Verkehrssicherheit kann aber nicht eintreten, wenn der Betroffene überhaupt nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, sondern ausschließlich Fahrrad fährt. Zwar bedeutet die Teilnahme am Straßen­verkehr unter erheblicher Alkoholisierung auch mit einem Fahrrad eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Das Gefahrenpotential für andere Verkehrs­teilnehmer ist hier indessen wegen der allgemein geringeren Betriebsgefahren eines Fahrrades deutlich niedriger einzuschätzen als beim Gebrauch eines Kraftfahrzeugs. Bei Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss muss aufgrund der heutigen Verkehrsdichte und der Schnelligkeit des Verkehrsmittels jederzeit damit gerechnet werden, dass sich die Gefahr eines schweren Unfalls tatsächlich realisiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dabei zu erheblichen Schädigungen von Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteil­nehmer kommt, ist hoch. Dies ist bei Fahrradfahrern wesentlich anders zu beurteilen: Fahrradfahrer benutzen nicht die Autobahnen oder vergleichbar ausgebaute Schnellstraßen mit einer hohen Verkehrsdichte. Innerorts – zumal im ländlichen Raum – fließt der gesamte Straßenverkehr langsamer; auf Fahrrad- und Wirtschaftswegen ist der Begegnungsverkehr mit Kraftfahrzeugen nahezu ausgeschlossen und mit sonstigen Verkehrsteilnehmern wie anderen Fahrrad­fahren oder Fußgängern eher gering. Ein betrunkener Fahrradfahrer kann zwar ebenfalls einen schweren Unfall im Straßenverkehr verursachen, beispielsweise wenn motorisierte Verkehrsteilnehmer wegen seines unkontrollierten Verhaltens unvorhersehbar ausweichen müssen und mit anderen Fahrzeugen kollidieren (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. April 2008 – 12 ME 35/08 -, juris; Bayerischer VGH, a.a.O.). Solche folgenschweren Ereignisse stellen aber doch die Ausnahme dar. Die pauschalierende Betrachtungsweise des § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV lässt sich nach alledem gegenüber Personen, die lediglich fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge oder Tiere führen, nicht rechtfertigen.

Vor diesem Hintergrund setzt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung entsprechend § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV gegenüber einem Fahrrad­fahrer, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge ist, zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit voraus, dass sich eine naheliegende und schwer­wiegende, an die Risiken bei auffällig gewordenen Fahrerlaubnisinhabern heranreichende Gefährdung des öffentlichen Straßenverkehrs durch den Radfahrer aus den konkreten Umständen des Einzelfalls herleiten lässt. Daran fehlt es hier.

Der Antragsteller ist zwar mit einer außergewöhnlich hohen Blutalkoholkon­zentration von 2,33 ‰ Fahrrad gefahren, es handelte sich dabei aber um seine erstmalige Auffälligkeit nach – wie er unwidersprochen vorträgt – einer privaten Feier in der Nacht. Er hat bei seiner Fahrt zudem den Fahrradweg benutzt und keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet. Es gibt derzeit keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass er regelmäßig auch am Tag zu Zeiten mit höherer Verkehrsfrequenz betrunken Fahrrad fährt und durch eine unkontrollierte Fahr­weise auf öffentlichen Straßen eine ständige Gefahr für andere Verkehrsteil­nehmer und die allgemeine Verkehrssicherheit darstellt. Nach den Feststellungen der Polizei und des untersuchenden Arztes vermittelte er bei dem Vorfall vom 30. Dezember 2008 den Eindruck starker Alkoholisierung, was trotz der hohen Blutalkoholkonzentration zu seinen Gunsten, nämlich eher gegen eine besonders ausgeprägte Alkoholgewöhnung spricht. Andere Drogen als Alkohol, insbesondere harte Drogen, denen der Gesetz- und Verordnungsgeber ein noch höheres Gefährdungspotential zuweist, sind nicht im Spiel. Der Antragsteller ist schon 62 Jahre alt, im Vorruhestand und fährt nach seinen Angaben vornehmlich auf Fahrradwegen und Feldwegen zur sportlichen Betätigung sowie zum Einkaufen auf den Markt mit einem Damen-City-Bike. Eine Prüfberechtigung für Mofas besitzt er nicht und er beabsichtigt auch nicht, ein solches Fahrzeug zu führen. Schließlich ist er nach seinem unwiderlegten Vortrag für sein Fehlverhalten zum ersten Mal mit einem Strafbefehl belegt worden, so dass davon ausgegangen werden darf, dass schon der Eindruck der erheblichen Geldstrafe von 400,– € ihm als Mahnung für sein zukünftiges Verhalten gereicht. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände erscheinen bei lebensnaher Betrachtung die von ihm aus­gehenden Gefahren für die Verkehrssicherheit und für andere Verkehrsteilnehmer derart fernliegend, dass sie die schwerwiegenden Belastungen mit einer medizinisch-psychologische Untersuchung nicht rechtfertigen können.

Darüber hinaus ist die Verbotsverfügung des Antragsgegners aber auch aus anderen Gründen rechtswidrig:

Gemäß § 11 Abs. 8 FeV darf die Verkehrsbehörde zwar aus der Weigerung, ein Gutachten vorzulegen, grundsätzlich auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Aber auch diese Vorschrift ist gemäß § 3 Abs. 2 FeV nur entsprechend anwendbar. Die Verkehrsbehörde muss hier nach Auffassung des Senats im Einzelfall abwägen, ob die vom Betroffenen dargelegten Gründe für seine Weigerung nachvollziehbar sind und deshalb ausnahmsweise den Schluss auf seine Nichteignung verbieten. Der Antragsteller hat im Schreiben vom 27. Juli 2009 seine Gründe ausdrücklich dargelegt, aus denen er die medizinisch-psychologische Untersuchung nicht durchführen will. Er hat hierfür insbesondere die Kosten des Gutachtens angeführt und auf deren Unangemessenheit mit Blick auf die ausschließliche Nutzung eines Fahrrades verwiesen. Diesen Einwänden kann nicht pauschal entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber dem Verkehrsteilnehmer auch sonst die Kosten zumutet, die mit dem Halten und dem Führen von Fahrzeugen verbunden sind (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 – 7 C 26/83 -, BVerwGE 71, 93, zitiert aus juris; Beschluss des Senats vom 21. November 2008 – 10 B 11094/08.OVG -). Dieser Grundsatz bezieht sich nämlich auf die Kosten, die bei der Nutzung eines Kraftfahrzeugs schon für den Erwerb der Fahrerlaubnis und sodann für Anschaffung und Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs in Form von Versicherungsprämien, Benzin und Reparaturen regelmäßig anfallen. Damit ist die Situation eines Fahrradfahrers nicht vergleich­bar. Bei ausschließlicher Nutzung eines Fahrrads reichen die Kosten für das Gutachten an den Fahrzeugwert heran oder übersteigen diesen sogar. Der Antragsteller hat sich in dem genannten Schreiben ausdrücklich bereit erklärt, an anderen, weniger kostenintensiven Maßnahmen zur Klärung seiner Fahreignung mitzuwirken. Auch diese Bereitschaft spricht im vorliegenden Fall dagegen, allein aus der Nichtvorlage des medizinisch-psychologischen Gutachtens ohne weitere Würdigung seiner Einlassungen pauschal auf eine Nichteignung wegen Uneinsichtigkeit und fehlendem Verantwortungsbewusstsein zu schließen.

Ferner unterliegt die Anordnung von Maßnahmen gemäß § 3 Abs. 1 FeV selbst bei erwiesener Nichteignung des Betroffenen dem Auswahlermessen der Behörde. Zwar muss sie in diesem Fall tätig werden, die Auswahl der von § 3 Abs. 1 FeV genannten Maßnahmen (Verbot, Beschränkungen oder Auflagen) liegt aber in ihrem pflichtgemäßen Ermessen, wobei sie auch hier den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Vorrang des jeweils geeigneten milderen Mittels zu beachten hat (vgl. Hentschel, a.a.O., Rdnr. 8, 9; BayVGH vom 27. März 2006, a.a.O.; OVG Lüneburg, a.a.O; OVG Bremen, Beschluss vom 9. Januar 1990, NJW 1990, 2081). Dieses Auswahlermessen hat der Antragsgegner ebenfalls nicht ausgeübt. Im Bescheid vom 4. August 2009 finden sich keine Erwägungen zu möglichen milderen Mitteln als dem ausgesprochenen Fahrverbot, vielmehr geht der Antragsgegner offenbar davon aus, dass dem Antragsteller das Führen fahr­erlaubnisfreier Fahrzeuge zwingend zu unter­sagen ist. Eine solche Ermessens­reduktion kann der Senat indessen nicht erkennen. Nach einer einzigen nächtlichen Auffälligkeit ist vielmehr vordringlich an ein zeitlich beschränktes Verbot zu denken oder an die Auflage eines Gesprächs mit einem Verkehrs­psychologen. Als wesensgleiches Minus zu dem ausgesprochenen Verbot kommt zunächst auch die Androhung desselben für den Wiederholungfall in Frage. Zu beachten ist hierbei nämlich, dass ein Verbot zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nicht nur erheblich in das Grundrecht der Handlungsfreiheit eingreift, sondern zugleich nahezu nicht kontrollierbar ist, sich der Ertrag dieser Maßnahme für die Verkehrssicherheit also faktisch als gering erweist. Die Androhung des Verbots als eindringliche Warnung an den Betroffenen bleibt in ihrer Wirkung im Hinblick auf die Verkehrssicherheit hinter diesem ohnehin geringen Ertrag kaum zurück.

Schließlich begegnet das gegenüber dem Antragsteller verhängte Verbot, fahr­erlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen, auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungs­grundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG rechtlichen Bedenken. In diesem Zusam­menhang weist er nämlich zu Recht darauf hin, dass – wie es auch den bisherigen Erfahrungen des Senats entspricht – einem Fahrerlaubnisinhaber, dem wegen einer Alkoholproblematik die Fahrerlaubnis entzogen wird, jedenfalls in der Regel nicht gleichzeitig das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge verboten wird. Der Antragsteller wird damit ohne erkennbaren Grund schlechter gestellt als die Mehr­zahl der Fahrerlaubnisinhaber, die in vergleichbarer Weise wie er im Straßen­verkehr auffällig geworden sind, denen aber die Nutzung von Fahrrädern erlaubt bleibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

Abofalle im Internet Gewinnspiel

AG München, Urteil vom 16.01.2007, Az. 161 C 23695/06 – Kein Zahlungsanspruch bei Abo-Falle

Endurteil gem. § 495a ZPO
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtstreits trägt die Klagepartei
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf EUR 30,- festgesetzt.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der Lebenserwartungs-Berechnung nach § 611 Abs. 1 BGB.

Ein wirksamer Vertrag zu den Bedingungen, die die Klägerin in ihren AGB vorgibt, ist wegen eines versteckten Eignungsmangels über den Preis nicht zustande gekommen, § 155 BGB. Zwar hat die Beklagte durch Anklicken akzeptiert, dass sie die AGB der Klägerin anerkennt. Jedoch ist Ziffer 6 Satz 1 der AGB eine überraschende Klausel nach § 305c Absatz 1 BGB und damit nicht Vertragsbestandteil geworden.
Da es der Klägerin erkennbar und wesentlich aber auf eine zahlungspflichtige Leistung ankommt, ist der Vertrag wegen des Einigungsmangels in diesem Hauptpunkt überhaupt nicht wirksam geschlossen worden.
Aufgrund der richterlichen Inaugenscheinnahme der streitgegenständlichen Internet-Seite ist das Gericht überzeugt, dass dem Besucher zunächst bewusst vorenthalten wird, dass es um eine kostenpflichtige Leistung geht. Es wird mit einem Gewinnspiel und einem Gutschein gelockt, ohne auf Kosten hinzuweisen. Der Hinweis auf einen „kommerziellen“ Zweck allein reicht hierfür nicht aus. Damit könnten auch Werbepartner gemeint sein, die durch die Adressensammlung aus dem Gewinnspiel profitieren.

Eine Anmeldung ist vorliegend möglich, ohne das Feld über den Preis unterhalb des Anmeldebuttons auf dem Bildschirm gesehen zu haben. Beim Anklicken und Bestätigen der AGB muss nicht damit gerechnet werden, dass gerade hier versteckt sich die Zahlungspflicht befindet. Zwar können grundsätzlich auch Hauptleistungspflichten in AGB geregelt werden, vergleiche Palandt, 65. Auflage, § 305 Randnummer 5, aber hier wird in den AGB überhaupt erst der Vertrag als entgeltlicher Vertrag dargestellt. Daher ist auch die vom Klägervertreter angeführte BGH-Entscheidung, Aktenzeichen: I ZR 75/03, nicht einschlägig. Dort war zwischen den Parteien auch ohne AGB klar, welches Vertragsverhältnis der Art nach vorlag.

Insgesamt ist Ziffer 6 Satz 1 der AGB nach den gesamten Umständen, nämlich dem Aufbau und dem äußeren Erscheinungsbild der Webseite der Klägerin so ungewöhnlich und daher überraschend, dass sie unwirksam ist.

Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO, die Streitwertfestsetzung nach § 3
ZPO, § 63 Abs. 2 GKG.

Berechnung Mietminderung Bruttomiete

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

XII ZR 225/03

Verkündet am:
6. April 2005

Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 536

Bemessungsgrundlage der Minderung nach § 536 BGB ist die Bruttomiete(Mietzins einschließlich aller Nebenkosten). Dabei ist unerheblich, ob die Nebenkosten als Pauschale oder Vorauszahlung geschuldet werden.

BGH, Urteil vom 6. April 2005 – XII ZR 225/03 – KG
LG Berlin

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Prof. Dr. Wagenitz, Fuchs, Dr. Ahlt und Dose für Recht erkannt:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 13. Oktober 2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Parteien streiten, ob und in welchem Umfang der Beklagte zur Minderung der Miete aus einem gewerblichen Mietverhältnis berechtigt ist. Die Klägerin vermietete mit schriftlichem Vertrag vom 24. Juni 1999 an den Beklagten Geschäftsräume zu einer Miete von monatlich 950,88 DM zuzüglich einer Betriebskostenvorauszahlung von 199,12 DM. Der Beklagte hat sich auf Mängel berufen und die Mietzahlung reduziert. Die Klägerin erkennt die Minderung nicht an und macht mit ihrer Klage unter anderem die aufgelaufenen Rückstände geltend.

Das Landgericht hat den Beklagten unter teilweiser Klageabweisung zur Zahlung von 1.713,46 € verurteilt. Dabei ist es von einer Minderung der Gesamtmiete (Bruttomiete) in Höhe von 10 % für die Monate Juni bis August sowie Oktober 2001 und von 20 % für die Monate November 2001 bis Juni 2002 ausgegangen.

Die Berufung, mit der die Klägerin nur noch die Minderung angegriffen hat, ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Kammergericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I. Das Kammergericht, dessen Urteil in WuM 2004, 17 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, die Feuchtigkeitsschäden seien erhebliche Mängel der Mietsache im Sinne des – für den Zeitraum Juli bis August 2001 gemäß Art. 229 § 3 EGBGB hier noch geltenden – § 537 Abs. 1 BGB a.F. und – für den Zeitraum ab Oktober 2001 – des § 536 Abs. 1 BGB. Die nach einem Wassereinbruch entstandenen Schäden einschließlich des darauf beruhenden Schimmelbefalls seien auf den vorgelegten Fotos deutlich zu erkennen. Es handele sich nicht nur um einen unerheblichen ästhetisch-kosmetischen Mangel. Es müßten 15 m² Tapete und 3 m² Putz beseitigt werden. Zusammen mit den unstreitigen Schäden am Fußboden seien 10 % Minderung gerechtfertigt. Eine weitere Beeinträchtigung ergebe sich aus einem Defekt der Regenrinne. Der gesamte auf der Dachfläche angesammelte Regen werde durch die beschädigte Stelle vor den Eingangsbereich der Büroräume geleitet mit der Folge, daß es an Regentagen nicht möglich sei, die Räume zu betreten und zu verlassen, ohne sich die Kleidung erheblich zu verschmutzen. Durch den Mangel werde der Regen gebündelt vor die Eingangstür der Büroräume geleitet. Dies rechtfertige eine weitere Minderung von 10 %.

Zu Recht sei das Landgericht bei seiner Minderungsberechnung von der Bruttomiete ausgegangen. Als Ausgangspunkt für die Herabsetzung der Miete kämen die Nettomiete (Mietzins ohne Nebenkosten), die Bruttomiete (Mietzins mit allen Nebenkosten) oder die Bruttokaltmiete (Mietzins mit allen Nebenkosten ohne Heizkosten) in Betracht. Sofern Nebenkosten in eine Mietminderung einbezogen würden, ergebe sich das weitere Problem, ob dies gleichmäßig geschehen solle, oder ob eine Berücksichtigung nur der Nebenkosten geboten sei, die von dem die Minderung begründenden Mangel betroffen seien. Im Gesetz sei lediglich von der Herabsetzung der Miete die Rede. Von einer Legaldefinition der Miete habe der Gesetzgeber abgesehen und die Lösung der Rechtspraxis überlassen. Maßgebend sei die Bruttomiete, also die Einbeziehung sämtlicher Nebenkosten. Aus § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebe sich, daß der Mieter von der Entrichtung der Miete vollständig befreit sei, solange die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch infolge des Mangels aufgehoben sei. In diesem Falle müsse der Mieter nichts, auch keine Nebenkosten zahlen. Im Hinblick darauf lasse sich nicht überzeugend begründen, daß bei einer nur teilweisen Aufhebung der Tauglichkeit die Nebenkosten ganz oder teilweise weiter zu zahlen seien. Beide Fälle habe der Gesetzgeber in unmittelbarem Zusammenhang geregelt und dabei das Wort „Miete“ gewählt.

Durch die Mietminderung solle das von den Parteien festgelegte Äquivalenzverhältnis wieder hergestellt werden. Bei dieser  Äquivalenzbetrachtung lasse sich die Nettomiete nicht sinnvoll von den Nebenkosten trennen. Der Mieter zahle, um die Räume im Rahmen des vertraglich gestatteten Gebrauchs entsprechend ihrer Ausstattung und ihrer technischen Möglichkeiten zu nutzen. Die Nebenkosten dienten diesem Zweck. Sie ermöglichten und erleichterten die Raumnutzung. Eine beschränkte Nutzungsmöglichkeit bewirke, daß auch die auf volle Funktionsfähigkeit der Räume gerichteten Nebenkostenzahlungen ihren Zweck nicht voll erreichen könnten. Eine nach einzelnen Nebenkostenpositionen differenzierende Sichtweise sei äußerst unpraktikabel. Der Mieter müßte im einzelnen erläutern, welche Nebenkostenposition betroffen sei und warum. Er müßte nach dem Grad der Betroffenheit für jede Position eine gesonderte Minderungsquote benennen und daraus unter Einbeziehung der anteilig herabgesetzten Nebenkostenmiete eine Gesamtminderung errechnen. Die damit verbundenen Belastungen bei der gerichtlichen Durchsetzung einer Mietminderung lägen für jeden Mietrechtspraktiker auf der Hand; auch das Gebot des effektiven Rechtsschutzes hindere, dieser Auffassung zu folgen.

II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

1. Ohne Erfolg beruft sich die Revision darauf, daß der Wassereinbruch im Jalousienbereich die Mietsache nur unerheblich beeinträchtige. Bei der Frage, ob die Tauglichkeit der Mietsache nur unerheblich gemindert ist, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der dem Tatrichter einen im Revisionsverfahren nur eingeschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspielraum eröffnet.

Als unerheblich ist ein Fehler insbesondere dann anzusehen, wenn er leicht erkennbar ist und schnell und mit geringen Kosten beseitigt werden kann, so daß die Geltendmachung einer Minderung gegen Treu und Glauben verstoße (Senatsurteil vom 30. Juni 2004 – XII ZR 251/02 – BGHReport 2004, 1615, 1616). Danach ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Ohne revisiblen Rechtsfehler durfte das Berufungsgericht davon ausgehen, daß die Erneuerung von 15 m² Tapete und 3 m² Putz die Grenze der Unerheblichkeit überschritten hat. Entgegen der Auffassung der Revision bedurfte dies keiner näheren Begründung.

Auch soweit das Berufungsgericht wegen der defekten Regenrückhaltevorrichtung des Gebäudes eine Minderung in Höhe von 10 % angenommen hat, vermag die Revision keinen Erfolg zu haben. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde dadurch an insgesamt 196 Tagen der Regen nicht nur nicht abgeleitet, sondern sogar „gebündelt“ vor die Eingangstür der Büroräume geleitet. Die gegen diese Feststellungen erhobene Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO). Mit der Bewertung dieses Mangels in Höhe von 10 % hat das Berufungsgericht seinen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

2. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht habe bei der Berechnung der Minderung nicht die Bruttomiete zugrunde legen dürfen.

a) Von welchem Betrag bei der Errechnung der Minderung auszugehen ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (Nachweise bei Schmidt Futterer/Eisenschmid Mietrecht 8. Aufl. § 536 Rdn. 324-327; Staudinger/Emmerich BGB (2003) § 536 Rdn. 55). Nach Auffassung des Berufungsgerichts (ebenso OLG Düsseldorf WuM 1994, 324; OLG Hamm OLGR 1996, 76 f.; OLG Frankfurt WuM 1986, 19; Schmidt Futterer/Eisenschmid aaO Rdn. 324; Sternel WuM 2002, 244) errechnet sich die Mietminderung aus der Bruttomiete (Mietzins einschließlich aller Nebenkosten). Eine andere Auffassung vertritt die Ansicht, daß die Mietminderung allein aus der Nettomiete (Mietzins ohne Nebenkosten) zu berechnen sei (OLG Koblenz ZMR 2002, 744). Eine dritte Auffassung meint, daß die Bruttokaltmiete (Mietzins mit allen Nebenkosten außer Heizkosten) maßgebend für die Berechnung der Mietminderung sei (KG 8. Zivilsenat GE 2002, 930). Weiter wird die Auffassung vertreten, daß die Nebenkosten bei der Minderung nur erfaßt werden, wenn die jeweilige Nebenleistung durch den Mangel beeinträchtigt werde (OLG Düsseldorf WuM 1994, 324).

Emmerich (Miete 8. Aufl. § 536 Rdn. 32 a.E.) geht davon aus, daß das Gericht im Rahmen seines Schätzungsermessens (§ 287 ZPO) gleichermaßen von der Brutto- wie von der Nettomiete ausgehen könne, wenn ihm dies angemessen erscheine.
Einigkeit besteht lediglich, daß dann, wenn Mieter und Vermieter eine Inklusivmiete, also eine Bruttomiete, vereinbaren, die im Mietpreis kalkulatorisch enthaltenen Betriebskosten mit zur Miete zählen (Schmidt Futterer/Eisenschmid aaO Rdn. 329).

b) Nach § 536 BGB wird der Mieter, wenn ein Mangel die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, von der Entrichtung der Miete befreit, bei bloßer Minderung der Tauglichkeit hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Ausgangspunkt für die Berechnung der Minderung ist somit die vom Mieter zu zahlende Miete. Was darunter zu verstehen ist, sagt das Gesetz nicht. Schon nach früherem Recht war die Frage umstritten (vgl. Staudinger/Emmerich aaO). Das Mietrechtsreformgesetz hat diese Unsicherheit nicht beseitigt. Im Regierungsentwurf (BT-Drucks. 14/4553, S. 19) hatte es in § 556 Abs. 1 BGB noch geheißen: „Die Miete umfaßt die Grundmiete und den Betrag für Betriebskosten im Sinne des § 27 II.BV“. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hatte jedoch Bedenken, daß eine Legaldefinition Streitfragen, die für die Minderung bestehen, zwar klären könnte, in anderen Bereichen aber neue Streitfragen aufwerfen würde. Er gab § 556 Abs. 1 BGB die jetzt Gesetz gewordene Fassung (Nachweise bei Haas Das neue Mietrecht – Mietrechtsreformgesetz S. 156). Danach läßt das Gesetz – wie bisher – alle Interpretationsmöglichkeiten zu (Sternel aaO, 246). Die Vielzahl vertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten einerseits und die Fülle unterschiedlicher Minderungsfälle andererseits machen es schwer, einen einheitlichen Maßstab zu finden.

Für jede Auffassung lassen sich Fälle finden, die die Vorzüge der jeweiligen Variante herausstellen, aber auch solche, die ihre Schwächen deutlich machen.

Der Senat schließt sich der Auffassung des Berufungsgerichts an. Für sie sprechen systematische, teleologische und nicht zuletzt rechtspraktische Gesichtspunkte.

aa) Der Gesetzgeber hat in § 556 BGB klargestellt, daß Betriebskosten vereinbart werden können. Da § 556 BGB zum Unterkapitel „Vereinbarungen über die Miete“ gehört, sind Betriebskosten jedenfalls nach der Systematik des Gesetzes als Bestandteil der Miete anzusehen (Schmidt Futterer/Eisenschmid aaO Rdn. 329).

bb) Die Minderung ist Ausdruck des das Schuldrecht prägenden Äquivalenzprinzips. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, daß durch die Mietminderung das von den Vertragsparteien festgelegte Äquivalenzverhältnis zwischen den Leistungen des Vermieters – der Bereitstellung einer im Vertragssinne nutzbaren Mietsache – und der Leistung des Mieters – der Mietzahlung – bei einer Störung auf der Vermieterseite wieder hergestellt werden. Für eine reduzierte Vermieterleistung soll der Mieter auch nur reduziert leisten müssen. Die Leistung des Vermieters besteht in der Gewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache. Das umfaßt alles, was erforderlich ist, um die vertragsgemäße Nutzung sicherzustellen. Neben der bloßen Überlassung der Mietsache gehören dazu Nebenleistungen, ohne deren Erfüllung ein vertragsgemäßer Gebrauch nicht denkbar ist. Dazu zählen mangels abweichender Vereinbarung unter anderem auch die Versorgung mit Energie, Wasser und Heizung sowie die Entsorgung etwa von Müll. Die Vermieterleistung läßt sich nicht in eine Fülle von isolierten Einzelleistungen zerlegen, die gleichsam um die Raumüberlassung (Überlassung der Mietsache) herumgruppiert sind. Vielmehr sind sie mit dieser unlösbar vernetzt; es handelt sich um eine komplexe Leistung (Sternel aaO 246).

Die vom Mieter zu erbringenden Leistungsentgelte (Grundmiete und Nebenkosten) sind die Gegenleistung für die vom Vermieter geschuldete Gesamtleistung. Der Mieter zahlt nicht etwa isoliert jede Nebenleistung, sondern ein Gesamtentgelt. Daran ändert entgegen der Auffassung der Revision der Umstand nichts, daß die Höhe der Mietnebenkosten in der Regel, zumindest wenn die Nebenkosten abgerechnet werden müssen, nicht durch Parteivereinbarung, sondern einseitig durch Dritte und bei den verbrauchsabhängigen Leistungen durch den Verbrauch seitens des Mieter festgelegt werden. Auch wenn der Vermieter die Höhe der Nebenleistungen nur beschränkt beeinflussen kann, so hat er sich doch zur uneingeschränkten Erbringung der Nebenleistungen verpflichtet.
Dementsprechend besteht auch die Gegenleistung des Mieters in einer einheitlichen Leistung, unabhängig davon, wie die Nebenkosten im einzelnen gemäß der vertraglichen Vereinbarung zu bezahlen sind. Daraus ergibt sich, daß ein Mangel der Haupt- oder einer Nebenleistung stets ein Mangel der geschuldeten Gesamtleistung ist mit der Folge, daß die dafür geschuldete gesamte Gegenleistung (Bruttomiete) gemindert werden muß, um die Äquivalenz wieder herzustellen.

cc) Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, daß ein Ansatz der Nettomiete zu Wertungswidersprüchen führen könnte. Nach der gesetzlichen Regelung des § 536 BGB ist der Mieter von der Entrichtung der Miete vollständig befreit, solange die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch infolge eines Mangels aufgehoben ist. Daß der Mieter in diesem Falle keine Nebenkosten vorauszahlen muß, darüber besteht Einigkeit (Sternel aaO 246; Staudinger/Emmerich aaO Rdn. 54); es wäre kaum nachvollziehbar, müßte der Mieter, obwohl er die Mietsache nicht nutzen kann, weiterhin die Nebenkosten vorauszahlen. Besteht aber bei 100-prozentiger Nutzungsbeeinträchtigung überhaupt keine Verpflichtung zur Zahlung von Nebenkosten, so wäre es nicht verständlich, bei geringerer, nicht vollständiger Nutzungsbeeinträchtigung die Nebenkosten nicht entsprechend herabzusetzen. Nach der gesetzlichen Regelung wird der Mieter nämlich von der Entrichtung der „Miete“ befreit, bei Minderung der Tauglichkeit soll die „Miete“ lediglich herabgesetzt werden (§ 536 Abs. 1 Satz 2 BGB). Es ist schon kein ausreichender Grund ersichtlich, in zwei aufeinanderfolgenden, inhaltlich dasselbe Problem regelnden Sätzen – wobei es sich nur um einen graduellen Unterschied handelt – den Begriff Miete einmal als Bruttomiete und im anderen Fall als Nettomiete anzusehen. Erst recht ist davon Abstand zu nehmen, wenn dies zu schwerlich nachvollziehbaren Wertungswidersprüchen führen würde.

dd) Schließlich ließe sich bei Zugrundelegung der Nettomiete ein einheitlicher Maßstab für alle Formen der Nebenkostenzahlung (Inklusivmiete, Grundmiete mit Nebenkostenpauschale, Grundmiete und abrechenbare Nebenkostenvorauszahlung) nur schwer erreichen, so daß die Höhe der Minderung letztlich von der vereinbarten Mietstruktur abhinge. Es besteht nämlich Einigkeit, daß bei Vereinbarung einer Inklusivmiete (Bruttomiete) der Ansatz der Nettomiete kein geeigneter Maßstab für die Minderung ist (Schmidt-Futterer/Eisenschmid aaO Rdn. 329), weil die nicht gesondert ausgewiesenen Nebenkosten nur mit Schwierigkeiten festgestellt werden können und deshalb von der Bruttomiete ausgegangen werden muß.

Würde bei Vereinbarung einer Nettomiete in Verbindung mit einer (nicht abzurechnenden) Pauschale entgegen der hier vertretenen Auffassung von der Nettomiete ausgegangen, so hätte es der Vermieter in der Hand, durch Vereinbarung einer niedrigeren Grundmiete und einer hohen Nebenkostenpauschale die Minderung zum Nachteil des Mieters zu beeinflussen. Dies wollte der Gesetzgeber aber – zumindest für den Bereich des Wohnraummietrechts – gerade ausschließen (vgl. § 536 Abs. 4 BGB).

ee) Aus den unter aa) bis dd) genannten Erwägungen verbietet sich auch die – vermittelnde – Lösung, von der Nettomiete auszugehen und die Nebenkosten nur dann herabzusetzen, wenn der Mangel einen Bereich der Vermieterleistung betrifft, für den die Nebenkosten zu leisten sind. Darüber hinaus weist das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, daß diese Lösung wenig praktikabel ist, weil sie den Mieter mit einem erheblichen Darlegungs- und Berechnungsaufwand belaste. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Minderung automatisch eintritt, müßte der Mieter nämlich diejenigen Anknüpfungstatsachen darlegen, die Grundlage für die Ermittlung der Minderungsquote sind. Er hätte im einzelnen vorzutragen, welche Nebenleistung vom jeweiligen Mangel betroffen ist und welcher Teilbetrag aus dem Gesamtbetrag der Nebenkosten auf die vom Mangel betroffene Nebenleistung entfällt. Das wäre mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, falls die Nebenkosten im Mietvertrag nicht aufgeschlüsselt sind. Liegen mehrere Mängel vor, die unterschiedliche Nebenleistungen betreffen, würde sich der erforderliche Aufwand noch erhöhen. Im Anschluß daran wäre die Gesamtminderung zu errechnen. Bei in diesem Bereich nicht selten streitigem Vortrag müßte Beweis erhoben werden. Auch unter Berücksichtigung von § 287 ZPO würde das zu erheblichen Belastungen der Tatgerichte führen. Demgegenüber sollte die Mietrechtsreform das Streitpotential verringern und auch einen Beitrag zur Entlastung der Gerichte leisten (BT-Drucks. 14/4553 S. 34).

ff) Aus den zuletzt genannten Gründen ist auch der Auffassung von Emmerich (aaO § 538 Rdn. 32), dem Tatrichter jeweils die Entscheidung zu überlassen, welchen Maßstab er anwenden will, nicht zu folgen. Zwar könnte der Tatrichter durch Auswahl der ihm am geeignetsten erscheinenden Methode im Einzelfall zu einer angemessen Herabsetzung kommen. Die Parteien müßten aber ihren Vortrag an der vom Gericht jeweils ins Auge gefaßten Methode ausrichten.

Die heute bestehende Rechtszersplitterung, die sogar innerhalb einzelner Gerichte besteht (vgl. Anmerkung Schach GE 2002, 500 m.w.N.), würde dadurch noch weiter vergrößert.

Hahne Bundesrichter Prof. Dr. Wagenitz ist Fuchs
urlaubsbedingt verhindert zu
unterschreiben.
Hahne
Ahlt Dose

Rückzahlungsanspruch Betriebskosten

MHG § 4 Abs. 1 Satz 2

BGB § 556 Abs. 3

Rechnet der Vermieter nicht fristgerecht über die Betriebskosten eines Abrechnungszeitraumes ab, so kann der Mieter, wenn das Mietverhältnis beendet ist, sogleich die vollständige Rückzahlung der geleisteten Abschlagszahlungen verlangen; er ist nicht gehalten, zuerst auf Erteilung der Abrechnung zu klagen. In einem solchen Fall hindert auch die Rechtskraft eines der Klage des Mieters stattgebenden Urteils den Vermieter nicht daran, über die Betriebskosten nachträglich abzurechnen und eine etwaige Restforderung einzuklagen.

BGH, Urteil vom 9. März 2005 – VIII ZR 57/04 – LG Hildesheim

AG Hildesheim

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 14. Januar 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Ball und Dr. Wolst sowie die Richterin Hermanns

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 5. Februar 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rückzahlung von Nebenkostenvorauszahlungen nach Beendigung eines Mietverhältnisses.

Die Kläger waren seit dem 1. Juni 1989 Mieter einer in S. , H. Straße gelegenen Wohnung, deren Eigentümerin und Vermieterin die Beklagte ist. Mit einem Schreiben, das die Datumsangabe „25.01.2001“ trägt und bei der Beklagten am 26. Juli 2001 eingegangen ist, kündigten die Kläger unter Bezugnahme auf eine Abmahnung der Beklagten vom 7. Juni 2001 das Mietverhältnis zum 1. Oktober 2001. Seit diesem Zeitpunkt zahlten sie keine Miete mehr. – 3 – Nach dem Mietvertrag hatten die Kläger auf die Betriebskosten monatliche Vorauszahlungen von 100,- DM zu leisten. Für die Jahre 1997 bis 1999 erteilte die Beklagte jeweils ordnungsgemäße Abrechnungen über die Nebenkosten, wobei sich in den beiden erstgenannten Jahren Nachzahlungen, im Jahr 1999 dagegen ein geringfügiges Guthaben der Kläger ergaben. Für die Jahre 2000 und 2001 erteilte die Beklagte trotz entsprechender Aufforderung der Kläger bislang keinerlei Abrechnungen, weil der Hausverwalter nicht mehr erreichbar ist und die Beklagte deshalb keinen Zugriff auf die Unterlagen hat. Mit ihrer Klage verlangen die Kläger unter Hinweis auf das Fehlen der von der Beklagten geschuldeten Abrechnungen die vollständige Rückzahlung der Nebenkostenvorauszahlungen für die Zeit von Januar 2000 bis einschließlich September 2001 in Höhe von insgesamt 1.073,71 € (2.100,- DM). Die Beklagte hält die Forderung für unbegründet; hilfsweise rechnet sie mit rückständiger Miete für die Monate Oktober bis Dezember 2001 sowie mit restlichen Mietansprüchen für den Zeitraum Januar bis Mai 2001 auf, während dessen die Kläger die Miete gemindert hatten. Das Amtsgericht hat die Klage als zur Zeit unbegründet abgewiesen, das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klageanspruch in vollem Umfang weiter. Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Ein Rückerstattungsanspruch komme, wie das Amtsgericht unter Hinweis auf zwei Rechtsentscheide der Oberlandesgerichte Hamm (NZM 1998, 568 = ZMR 1998, 624 – 4 – = NJW-RR 2000, 9) und Braunschweig (NZM 1999, 751 = ZMR 1999, 694 = NJW-RR 2000, 85 m.w.Nachw.) zutreffend dargelegt habe, nur insoweit in Betracht, als die geleisteten Betriebskostenvorauszahlungen nicht durch unstreitig entstandene Nebenkosten verbraucht seien. Es wäre unbillig, wenn der Vermieter sämtliche Vorauszahlungen erstatten müßte, obwohl feststehe, daß Nebenkosten überhaupt entstanden seien. Der Mieter sei daher gehalten, anhand entsprechender Anhaltspunkte die Mindesthöhe der tatsächlich entstandenen Nebenkosten zu schätzen und annäherungsweise vorzutragen. Nur wenn der Mieter keinerlei Anhaltspunkte für die Höhe der angefallenen Betriebskosten habe, könne ein Rückforderungsanspruch (insgesamt) bestehen. Ein solcher Fall liege hier jedoch nicht vor; denn die Kläger könnten angesichts der langen Mietdauer und insbesondere auf Grund der Abrechungen für die Jahre 1997 bis 1999 auf eine tragfähige Schätzgrundlage zurückgreifen. Ihrer danach bestehenden Darlegungslast hätten die Kläger nicht genügt, und zwar auch nicht dadurch, daß sie sich in der Berufungsinstanz pauschal und ohne jede Substanz mit einem hinter der Klageforderung zurückbleibenden Betrag zufrieden geben wollten. Im übrigen wäre eine Klage auf Erstellung der Abrechnungen entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht auf eine unmögliche Leistung gerichtet, da sämtliche erforderlichen Rechnungen nacherstellt werden könnten. II. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. 1. Das Landgericht hat offensichtlich übersehen, daß für die Abrechnungszeiträume 2000 und 2001 unterschiedliche gesetzliche Regelungen gelten, soweit es um die Frist geht, innerhalb derer der Vermieter über die Neben- 5 – kostenvorauszahlungen abzurechnen hat, und um die Frage, welche Folgen sich aus der Nichteinhaltung dieser Frist ergeben. Nach § 556 Abs. 3 Satz 2 BGB in der Fassung des am 1. September 2001 in Kraft getretenen Mietrechtsreformgesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1149) ist die Abrechnung dem Mieter spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach Ende des Abrechungszeitraums mitzuteilen. Gemäß Satz 3 dieser Vorschrift ist die Geltendmachung einer Nachforderung durch den Vermieter nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen, es sei denn, der Vermieter hat die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten. Nach der Übergangsbestimmung des Art. 229 § 3 Abs. 9 EGBGB sind diese Vorschriften jedoch nicht anzuwenden auf Abrechnungszeiträume, die vor dem 1. September 2001 beendet waren. Im vorliegenden Fall ist daher für die Abrechnung über die Nebenkosten des Jahres 2000 die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes maßgebend; insoweit verbleibt es mithin bei der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 MHG, der lediglich die jährliche Abrechnung über die Nebenkosten vorschrieb, hierfür jedoch keine bestimmte Frist und keine Rechtsfolgen bei verspäteter Abrechnung vorsah. Die Abrechnung für das Jahr 2001 richtet sich dagegen in vollem Umfang nach der neuen Gesetzeslage, und zwar unabhängig davon, ob das Mietverhältnis, wie die Kläger vortragen, zum 1. Oktober 2001 oder – so die Auffassung der Beklagten – frühestens am 31. Dezember 2001 geendet hat. 2. Für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes, im vorliegenden Fall also für den Abrechnungszeitraum des Jahres 2000, war die Frage, welche Rechte dem Mieter zustehen, wenn der Vermieter über die Betriebskosten nicht innerhalb angemessener Zeit abrechnet, in Rechtsprechung und Literatur umstritten und höchstrichterlich nicht – jedenfalls nicht abschließend – geklärt. In einem Rechtsentscheid vom 11. April 1984 (VIII ARZ 16/83, BGHZ 91, 62) hatte der Senat lediglich die Vorlagefrage zu entscheiden, ob der Vermieter einer mit öffentlichen Mitteln geförderten, preisgebundenen Wohnung – 6 – mit seinem Anspruch auf Zahlung der durch die Vorauszahlungen nicht gedeckten Betriebskosten ausgeschlossen ist, wenn er ihn nicht binnen drei Monaten nach Ablauf des Abrechnungszeitraumes geltend macht. Der Senat hat diese Frage unter anderem mit der Begründung verneint, daß in einem solchen Fall die Voraussetzungen der Verwirkung nicht erfüllt seien. Damit war jedoch nicht geklärt, was für den Bereich des freifinanzierten Wohnungsbaus und bei einem längeren Zuwarten des Vermieters mit der Abrechung oder sogar bei völliger Untätigkeit des Vermieters zu gelten hat. a) Für den hier zu beurteilenden Zeitraum ist ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung davon ausgegangen, ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen bei fehlender Abrechnung sei dem Mieter im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung grundsätzlich zuzubilligen. Ein anderer zumutbarer Weg stehe dem Mieter jedenfalls dann nicht (mehr) zur Verfügung, wenn das Mietverhältnis beendet sei, weil er dann das Druckmittel der Zurückbehaltung laufender Betriebskostenvorauszahlungen gemäß § 273 BGB nicht mehr in der Hand habe und ihm im übrigen der umständliche und im Ergebnis möglicherweise erfolglose Weg einer Klage auf Abrechnung nicht zuzumuten sei. Allerdings sei dem Mieter nicht ein Anspruch auf volle Erstattung der Vorauszahlungen zuzugestehen, sondern lediglich in Höhe des Überschusses nach Abzug der verbrauchten Beträge. Für die Höhe der tatsächlich entstandenen Betriebskosten sei zwar der Vermieter nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweispflichtig. Der Mieter sei jedoch verpflichtet (§ 138 Abs. 1 ZPO) und in der Regel auch in der Lage, anhand der gegebenen Anhaltspunkte den Mindestbetrag der tatsächlich angefallenen Nebenkosten zu schätzen und vorzutragen; Sache des Vermieters sei es sodann, sich durch Vorlage der geschuldeten Nebenkostenabrechnungen gegen das Vorbringen des Mieters zu verteidigen (vgl. dazu insgesamt OLG Braun- 7 – schweig, Rechtsentscheid vom 8. Juli 1999 aaO; ebenso OLG Köln, ZMR 2002, 108). b) Dagegen hat das OLG Hamm in einem Rechtsentscheid vom 26. Juni 1998 (aaO) die Auffassung vertreten, ein Rückzahlungsanspruch des Mieters entstehe in jedem Fall erst mit der Vorlage einer ordnungsgemäßen Abrechnung; der Mieter müsse deshalb zunächst auf Erstellung der Abrechnung klagen, bevor er in schlüssiger Weise seinen Rückforderungsanspruch gelten machen könne. Im übrigen stehe ihm – zumindest bei einem fortdauernden Mietverhältnis – ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) hinsichtlich der laufenden Betriebskostenvorauszahlungen zu. c) Im Schrifttum waren die Meinungen ebenfalls geteilt. Überwiegend – allerdings mit unterschiedlicher Begründung – wurde die Auffassung vertreten, der Mieter könne jedenfalls bei beendetem Mietverhältnis die Vorauszahlungen insgesamt zurückverlangen, wenn der Vermieter für einen bestimmten Abrechnungszeitraum die geschuldete Abrechnung nicht innerhalb angemessener Frist erteile (Emmerich/Sonnenschein/Weitemeyer, Miete, 7. Aufl., § 4 MHG, Rdnr. 43; Lammel, Wohnraummietrecht, § 4 MHG, Rdnr. 144; Soergel/Heintzmann, BGB, 12. Aufl., § 4 MHG, Rdnr. 10; ebenso wohl Erman/P. Jendrek, BGB, 10. Aufl., § 535 Rdnr. 54 unter Hinweis auf OLG Braunschweig aaO; Schmid, Miete und Mietprozeß, Rdnr. 379). Nach anderer Ansicht sollte der Mieter die geleisteten Vorauszahlungen nur insoweit zurückverlangen können, als feststeht, daß sie nicht verbraucht sind (Kossmann, Handbuch der Wohnraummiete, 5. Aufl., S. 149 Rdnr. 5). Schließlich wurde die Meinung vertreten, auch nach Beendigung des Mietverhältnisses, wenn das naheliegende Druckmittel des Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB dem Mieter nicht mehr zur Verfügung stehe, müsse der Mieter in jedem Fall zunächst den Vermieter auf Erteilung der Abrechnung verklagen und ein obsiegendes Urteil sodann im We- 8 – ge der Zwangsvollstreckung gemäß § 887 ZPO, gegebenenfalls also durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, durchsetzen (Schmidt-Futterer/ Langenberg, Mietrecht, 7. Aufl., § 546 Rdnr. 202). Einigkeit bestand indessen darin, daß als angemessene Frist für die Erstellung der Abrechnung ein Jahr anzusehen sei (§ 20 NMV analog) und daß die Darlegungs- und Beweislast für die Höhe der tatsächlich angefallenen Betriebskosten beim Vermieter liege (so z.B. Lammel aaO Rdnr. 142; Kossmann aaO S. 148 Rdnr. 33 und S. 149 Rdnr. 3; Emmerich/Sonnenschein/ Weitemeyer, Miete, 7. Aufl., § 4 MHRG Rdnrn. 38, 43; Schmidt-Futterer/Langenberg aaO Rdnrn. 314, 413; Staudinger/ Sonnenschein/Weitemeyer, Art. 3 WKSchG II § 4 MHRG, 13. Bearbeitung 1997, Rdnrn. 66, 81). 3. Der Senat hält die im Schrifttum überwiegend vertretene Auffassung jedenfalls im Ergebnis für zutreffend. Der Mieter, dessen Mietverhältnis beendet ist, ist nicht gezwungen, den mit der Abrechnung säumigen Vermieter auf Erteilung der Abrechnung zu verklagen. Vielmehr kann er die von ihm geleisteten Vorauszahlungen zurückverlangen, solange der Vermieter nicht durch eine ordnungsgemäße Abrechnung nachweist, daß die Vorschüsse durch die für den betreffenden Zeitraum angefallenen und vom Mieter zu erstattenden Nebenkosten verbraucht sind. a) Allerdings steht dem Mieter, wenn der Vermieter ordnungsgemäß abgerechnet hat, ein vertraglicher Rückerstattungsanspruch nur zu, soweit die geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen durch die in dem betreffenden Abrechnungszeitraum tatsächlich angefallenen Nebenkosten nicht aufgezehrt sind. Denn die vertraglich vereinbarten Abschlagszahlungen beruhen lediglich auf einer vorläufigen Schätzung oder einer freien Festsetzung (vgl. Senatsurteil vom 11. Februar 2004 – VIII ZR 195/03, NJW 2004, 1102 = NZM 2004, 251 = Grundeigentum 2004, 416); aus der entsprechenden Regelung des Mietvertra- 9 – ges folgt deshalb unmittelbar die Verpflichtung des Vermieters zur Erstattung etwaiger Überzahlungen, ohne daß es insoweit eines Rückgriffs auf die gesetzlichen Vorschriften des Auftrags oder der ungerechtfertigten Bereicherung, auf die Rechtsfigur der positiven Vertragsverletzung oder einer ergänzenden Vertragsauslegung bedarf. Gleiches gilt für eine etwaige Nachzahlungsverpflichtung des Mieters. b) Über die Höhe der tatsächlich entstandenen Nebenkosten hat der Vermieter abzurechnen, weil er nur im Umfang des tatsächlichen Verbrauchs einen vertraglichen Erstattungsanspruch gegen den Mieter hat. Das liegt ohne weiteres auf der Hand, wenn der Vermieter – was ihm frei steht (Senatsurteil vom 11. Februar 2004 aaO) – keine Vorauszahlungen erhebt, sondern lediglich am Ende eines Abrechungszeitraumes die Aufwendungen geltend macht, die ihm durch die nach dem Vertrag vom Mieter zu tragenden Betriebskosten entstanden sind. Diese Rechtslage ändert sich nicht dadurch, daß der Vermieter mit dem Mieter monatliche Abschlagszahlungen vereinbart, über die nach Ablauf eines Jahres abzurechnen ist (vgl. Lammel aaO Rdnr. 142; Kossmann aaO S. 148 Rdnr. 33 und S. 149 Rdnr. 3; Emmerich/ Sonnenschein/Weitemeyer, Miete, 7. Aufl., § 4 MHRG Rdnr. 43; Schmidt-Futterer/Langenberg aaO Rdnr. 413; Staudinger/Sonnenschein/Weitemeyer aaO Rdnr. 81). Über die Höhe der im Abrechnungszeitraum entstandenen Betriebskosten soll die durch § 4 Abs. 1 Satz 2 MHG zwingend vorgeschriebene jährliche Abrechnung des Vermieters – insbesondere im Interesse des Mieters – Klarheit verschaffen. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung erscheint es selbstverständlich, daß der Zeitpunkt für die Abrechnung nicht in das freie Belieben des Vermieters gestellt ist, sondern daß die Abrechnung innerhalb angemessener Frist zu erfolgen hat. In Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung der Instanzgerichte und dem Schrifttum (s.o. unter 2 c a.E.) sieht der – 10 – Senat in der für den preisgebundenen Wohnraum maßgebenden Jahresfrist des § 20 Abs. 3 Satz 4 NMV einen brauchbaren Anhaltspunkt für die Angemessenheit der Abrechnungsfrist. Eine Überschreitung dieser Frist kann dem Vermieter nur dann zugestanden werden, wenn er an der rechtzeitigen Erstellung der Abrechnung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gehindert war. c) Grundsätzlich werden der Anspruch des Vermieters auf Bezahlung der vom Mieter zu tragenden Betriebskosten ebenso wie der Anspruch des Mieters auf Erstattung etwaiger Überzahlungen mit der Erteilung der Abrechnung fällig (st. Rspr., z.B. Senatsurteil BGHZ 113, 188, 194; Senatsurteil vom 27. November 2002 – VIII ZR 108/02, NJW-RR 2003, 442 = NZM 2003, 196 = ZMR 2003, 334 unter III 1; Senatsurteil vom 3. Dezember 2003 – VIII ZR 168/03, NJW 2004, 851 = ZMR 2004, 250 = NZM 2004, 188 unter II 2). Für den Erstattungsanspruch des Mieters kann dies jedoch dann nicht gelten, wenn der Vermieter nicht innerhalb angemessener Frist über die Betriebskosten abrechnet, es sei denn, daß er an der Einhaltung der Frist aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gehindert war. Andernfalls bliebe die Abrechnungsfrist ohne praktische Bedeutung, und der Vermieter hätte es in der Hand, die Fälligkeit eines Rückzahlungsanspruchs des Mieters nach Belieben hinauszuzögern. Dieser Folge kann nur dadurch wirksam begegnet werden, daß der Mieter die Rückzahlung von Nebenkostenvorauszahlungen verlangen kann, wenn der Vermieter nicht fristgerecht abgerechnet hat; dieses Ergebnis ist dem Mietvertrag im Wege der ergänzenden Auslegung zu entnehmen (§§ 133, 157 BGB; vgl. dazu OLG Braunschweig aaO unter II 2). Der Rückforderungsanspruch des Mieters wird deshalb in einem solchen Fall nicht erst mit der Mitteilung der Abrechnung des Vermieters, sondern bereits dann fällig, wenn die Abrechnungsfrist erfolglos abgelaufen ist. Fraglich kann dann nur noch sein, ob der Mieter die volle Rückzahlung fordern kann oder ob er auf die Geltendmachung einer geschätzten Überzahlung beschränkt ist (s. dazu unter e). – 11 – d) Der Senat teilt die in Rechtsprechung und Literatur in diesem Zusammenhang überwiegend vertretene Ansicht schließlich auch insofern, als dem Mieter das Recht zugestanden wird, unmittelbar auf Rückerstattung von Nebenkostenvorauszahlungen zu klagen, wenn der Vermieter seiner Verpflichtung zur Erteilung der Abrechnung nicht innerhalb der Frist von (grundsätzlich) längstens einem Jahr nachkommt. Dies muß jedenfalls dann gelten, wenn das Mietverhältnis beendet ist und der Mieter sich deshalb nicht mehr gemäß § 273 BGB durch Einbehaltung der laufenden Abschlagszahlungen schadlos halten oder Druck ausüben kann. Der – unter Umständen äußerst zeitraubende und nicht immer Erfolg versprechende – Umweg über eine (Stufen-)Klage auf Erteilung der Abrechnung kann dem Mieter, wie das OLG Braunschweig (aaO) zutreffend ausgeführt hat, nicht zugemutet werden (a.A. Schmidt-Futterer/ Langenberg aaO Rdnr. 202 a.E.; offengelassen von OLG Hamm aaO unter II 2 c bb a.E.). Es ist allein Sache des Vermieters, fristgerecht über die angefallenen Kosten vollständig und richtig abzurechnen (§ 259 BGB); ein etwaiges Verschulden seiner Hilfspersonen bei der Versäumung der Frist hat er sich wie eigenes Verschulden zurechnen zu lassen (§ 278 BGB). Deshalb kann der Mieter zu Recht erwarten, daß er nach spätestens einem Jahr zuverlässig erfährt, ob und inwieweit er die Vorauszahlungen zurückverlangen kann oder eine Nachzahlung zu leisten hat. Die bis dahin bestehende Ungewißheit würde ohne zwingenden Grund verlängert, wenn der Mieter nur in einem mehrstufigen Verfahren oder sogar in zwei getrennten Prozessen seinen möglicherweise bestehenden Rückforderungsanspruch geltend machen könnte. e) Kommt der Vermieter seiner Pflicht zur Abrechnung der Betriebskosten nicht innerhalb angemessener Frist nach, so kann der Mieter die vollständige Erstattung der geleisteten Abschlagszahlungen verlangen. Die Ansicht, daß dem Mieter ein Rückzahlungsanspruch nur insoweit zusteht, als die Vorauszahlungen nach einer von ihm vorzunehmenden Schätzung den Betrag der – 12 – mindestens angefallenen Betriebskosten übersteigen, teilt der Senat nicht. Mit der gesetzlich vorgeschriebenen Abrechung macht der Vermieter gegenüber dem Mieter seinen Anspruch auf Bezahlung der vertraglich übernommenen Betriebskosten geltend; die entsprechenden Tatsachen hat er im Prozeß vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen. Es kann deshalb nicht Sache des Mieters sein, darzulegen, in welcher Höhe dem Vermieter ein derartiger Anspruch (mindestens) zusteht. Das wäre mit der allein dem Vermieter obliegenden Abrechnungspflicht nicht zu vereinbaren. f) Durch eine Klage des Mieters auf vollständige Rückzahlung der geleisteten Vorschüsse, ohne daß er zuvor seinen Anspruch auf Abrechnung klageweise geltend gemacht hat, wird der Vermieter auch nicht über Gebühr benachteiligt. Dabei verkennt der Senat nicht, daß es in aller Regel nahezu zwingend feststeht, daß Betriebskosten in irgendeiner Höhe entstanden sind und der Vermieter deshalb einen entsprechenden Erstattungsanspruch gegen den Mieter hat. Diesen Anspruch kann er jedoch allein auf Grund einer ordnungsgemäßen Abrechnung geltend machen; verzögert er diese Abrechnung, so entsteht ein Schwebezustand, den der Mieter nicht hinzunehmen braucht, weil er gegen den Vermieter einen Anspruch auf Abrechnung innerhalb einer angemessenen Frist hat (s.o. unter b). Steht nach dem erfolglosen Ablauf der Frist aber nicht fest, in welcher Höhe der Vermieter Ersatz seiner Auslagen verlangen kann, so ist der Mieter, da weitere Darlegungen als diejenigen zur Höhe der geleisteten Vorauszahlungen und zur fehlenden Abrechnung von ihm nicht zu fordern sind, berechtigt, die Vorauszahlungen insgesamt zurückzuverlangen. Abgesehen davon wird eine unangemessene Benachteiligung des Vermieters auch dadurch ausgeschlossen, daß er die bislang versäumte Abrechnung der Nebenkosten im Prozeß nachholen kann. Soweit ihm die Beschaffung der dazu benötigten Daten nicht möglich ist, kann eine Abrechnung auf der – 13 – Grundlage von Erfahrungswerten genügen. Soweit im einzelnen Unklarheiten verbleiben, können diese durch eine gerichtliche Schätzung nach § 287 ZPO oder erforderlichenfalls durch ein Sachverständigengutachten überwunden werden. g) Die gegen die vorstehende Auffassung vereinzelt vorgebrachten Einwände im Hinblick auf Fragen der Rechtskraft (Schmidt-Futterer/Langenberg, Mietrecht, 8. Aufl., § 556 Rdnr. 287) greifen nicht durch. Denn die Zahlungsklage verschafft unter den dargelegten Voraussetzungen im Ergebnis dem Mieter einen nur vorläufigen Rückzahlungsanspruch, der sich allein auf die fehlende Fälligkeit der korrespondierenden Gegenforderung – des Betriebskostenerstattungsanspruchs des Vermieters – gründet. Führt der Vermieter die Fälligkeit seines Erstattungsanspruchs durch ordnungsgemäße Abrechnung (§ 259 BGB) nach rechtskräftiger Beendigung des Vorprozesses herbei, so steht die Rechtskraft des einer Klage des Mieters stattgebenden Urteils der Klage des Vermieters auf Zahlung der Betriebskosten bzw. des sich aus der Abrechnung ergebenden Saldos nicht entgegen. Die Rechtslage ist dann – spiegelbildlich – nicht anders, als wenn eine vorausgegangene Leistungsklage mangels Fälligkeit des eingeklagten Anspruchs als zur Zeit unbegründet abgewiesen wird. So hat der Bundesgerichtshof wiederholt entschieden, daß die Rechtskraft eines Urteils, das die Klage eines Bauunternehmers auf Zahlung des Werklohns mit der Begründung abgewiesen hat, die Forderung sei mangels einer prüffähigen Schlussrechnung (noch) nicht fällig, der Zulässigkeit einer neuen, auf die inzwischen eingetretene Fälligkeit des Anspruchs gestützten Klage nicht entgegensteht (BGHZ 140, 365, 368 m.w.Nachw.; BGHZ 143, 169, 172; ebenso Musielak/ Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 322 Rdnrn. 29, 51; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., Rdnrn. 53, 55-58 vor § 322). Für den umgekehrten Fall kann nichts anderes gelten. Die Klage, die lediglich deshalb Erfolg hat, weil eine Gegenforderung mangels prüffähiger Schlußrechnung oder ordnungsgemäßer Abrech- 14 – nung noch nicht fällig ist, ist letztlich nur „zur Zeit begründet“. Ein rechtskräftiges, der Klage stattgebendes Urteil hindert den im Erstprozeß unterlegenen Unternehmer oder Vermieter daher nicht, durch Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung die Fälligkeit seiner (Gegen-)Forderung nachträglich herbeizuführen und gegebenenfalls diese Forderung zum Gegenstand einer neuen Klage zu machen. 4. Nach diesen Grundsätzen kann das Berufungsurteil, soweit es um die Rückforderung der Kläger für das Kalenderjahr 2000 geht, keinen Bestand haben. Ihrer gesetzlichen Verpflichtung, die Betriebskosten für diesen Zeitraum abzurechnen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 MHG), ist die Beklagte nicht nachgekommen, und zwar weder innerhalb der ihr hierfür grundsätzlich zustehenden Jahresfrist noch später. Der Umstand, daß der Hausverwalter sämtliche Unterlagen mitgenommen hat, macht eine fristgerechte Abrechnung nicht entbehrlich, sondern rechtfertigt allenfalls geringere Anforderungen an die substantiierte Darlegung der einzelnen Positionen. Die Kläger, deren Mietverhältnis beendet ist, waren daher berechtigt, auf Rückzahlung der für das Kalenderjahr 2000 geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen zu klagen, und zwar, wie ausgeführt, in voller Höhe und ohne Beschränkung auf einen den Mindestbetrag der schätzungsweise angefallenen Betriebskosten übersteigenden Überschuß. 5. Für den Abrechnungszeitraum des Kalenderjahres 2001 ist, wie eingangs erwähnt, § 556 Abs. 3 BGB in der Fassung des am 1. September 2001 in Kraft getretenen Mietrechtsreformgesetzes vom 19. Juni 2001 maßgebend. Insofern hat sich an der Verpflichtung des Vermieters zur jährlichen Abrechnung über die Betriebskostenvorauszahlungen nichts geändert; an die Stelle des bisher geltenden § 4 Abs. 1 Satz 2 MHG ist die inhaltsgleiche Bestimmung des § 556 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbs. BGB getreten. Neu ist allerdings die verbindliche Festschreibung einer Abrechnungsfrist von zwölf Monaten und der grundsätzli- 15 – che Ausschluß von Nachforderungen des Vermieters nach Ablauf dieser Frist (§ 556 Abs. 3 Satz 2 und 3 BGB). Nach erfolglosem Ablauf der Frist kann der Mieter auf Abrechnung klagen (vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs zum Mietrechtsreformgesetz, BT-Drucks. 14/4553, S. 51). Darauf ist er indessen, wie oben ausgeführt, nicht beschränkt; vielmehr kann er – wie nach dem bisherigen Rechtszustand – sofort die Rückzahlung der geleisteten Abschlagszahlungen fordern. Daß der Gesetzgeber, dem die uneinheitliche Rechtsprechung zu den Reaktionsmöglichkeiten des Mieters auf das Fehlen einer fristgerechten Nebenkostenabrechnung des Vermieters bekannt war, die sofortige Klage des Mieters auf Erstattung der Betriebskostenvorauszahlungen schlechthin ausschließen wollte, ist nicht anzunehmen. Die Bemerkung in der Begründung des Regierungsentwurfs zum Mietrechtsreformgesetz (aaO), bei fehlender Abrechnung müsse der Mieter zunächst auf Rechnungslegung klagen und könne anschließend Rückzahlung des überzahlten Betrages verlangen, bezieht sich, wie dem folgenden Satz mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Zurückbehaltung zukünftiger Nebenkostenvorauszahlungen zu entnehmen ist, lediglich auf noch nicht beendete Mietverhältnisse. a) Welche Anforderungen an den Umfang und die Begründung einer solchen Klage des Mieters zu stellen sind, ist nach wie vor gesetzlich nicht geregelt und im Schrifttum weiterhin umstritten; obergerichtliche Rechtsprechung hierzu existiert bislang, soweit ersichtlich, nicht. Nach überwiegender Meinung kann der Mieter seine Vorauszahlungen in voller Höhe zurückverlangen, wenn sich der Vermieter nicht zur Sache einläßt (Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl., § 556 Rdnr. 153; Emmerich/Sonnenschein/ Weitemeyer, Miete, 8. Aufl., § 556 Rdnr. 91). Der Vermieter soll mit seiner Gegenforderung auf Ersatz der Betriebskosten jedoch aufrechnen oder diese gesondert geltend machen können (Schmid, Miete und Mietprozeß, 4. Aufl., – 16 – S. 326 Rdnr. 567; unklar ders. in MünchKommBGB, 4. Aufl., § 556 Rdnr. 63); dabei wird indessen der Sinn der dem Vermieter obliegenden Abrechnungspflicht verkannt, die von vornherein auf die Saldierung von Vorauszahlungen des Mieters und Aufwendungen des Vermieters gerichtet ist (§ 259 Abs. 1 BGB). Des Umwegs über eine Aufrechnung oder gesonderte Geltendmachung der Forderung des Vermieters bedarf es daher nicht. b) Die Gegenmeinung versagt dem Mieter grundsätzlich ein Recht zur Rückforderung der Vorauszahlungen, solange als Gegenleistung dafür überhaupt Betriebskosten aufgewendet worden sind (Eisenschmid/Rips/Wall, Betriebskostenkommentar, Teil 2, Rdnr. 293). Nach Langenberg (in Schmidt- Futterer, Mietrecht, 8. Aufl., § 556, Rdnrn. 282 ff., insbesondere Rdnr. 289; ders. in Betriebkostenrecht der Wohn- und Gewerberaummiete, 3. Aufl., Abschnitt G, Rdnrn. 48 ff., 58), der den Rechtsentscheid des OLG Braunschweig vom 8. Juli 1999 (aaO) als durch die geänderte materielle Gesetzeslage überholt ansieht, soll es auch bei beendetem Mietverhältnis dabei verbleiben, daß der Mieter zunächst auf Abrechnung klagen und ein obsiegendes Urteil sodann im Wege der Zwangsvollstreckung gemäß § 887 ZPO durchsetzen muß. c) Der Senat geht auch für Abrechnungszeiträume, für die nach der neuen Bestimmung des § 556 Abs. 3 BGB abzurechnen ist, davon aus, daß es nicht zur schlüssigen Begründung einer Rückforderungsklage des Mieters wegen Verletzung der Abrechnungspflicht des Vermieters gehört, daß er – der Mieter – anhand der ihm zur Verfügung stehenden Anhaltspunkte den Mindestbetrag der angefallenen Betriebskosten schätzt und von der Summe der Vorauszahlungen abzieht. Die oben dargelegten, vom Senat geteilten Erwägungen des OLG Braunschweig in seinem Rechtsentscheid vom 8. Juli 1999 sind entgegen der Ansicht von Langenberg nicht durch die Neuregelung des § 556 Abs. 3 Satz 2 und 3 BGB überholt; denn die Gefahr eines „evident unhaltbaren“ Er- 17 – gebnisses besteht nach der neuen Gesetzeslage, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Ausschlußfrist des § 556 Abs. 3 Satz 3 BGB, nicht. Vielmehr ist der Vermieter nach wie vor berechtigt, sich im Prozeß gegen die Rückforderung des Mieters durch substantiierte, den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abrechnung (§ 259 BGB) genügende Darlegung der ihm entstandenen Aufwendungen für Betriebskosten zu verteidigen oder nachträglich, d.h. auch nach Rechtskraft eines der Rückforderungsklage des Mieters stattgebenden Urteils, die Fälligkeit seines Erstattungsanspruchs durch eine Abrechnung herbeizuführen. § 556 Abs. 3 Satz 3 BGB schließt nach seinem eindeutigen Wortlaut lediglich die Geltendmachung von Nachforderungen aus. Um Nachforderungen in diesem Sinne handelt es sich aber begrifflich nur, wenn der Vermieter nach Ablauf der zwölfmonatigen Abrechnungsfrist einen Betrag verlangt, der eine bereits erteilte Abrechnung oder, falls er eine rechtzeitige Abrechnung nicht erstellt hat, die Summe der Vorauszahlungen des Mieters übersteigt. Andernfalls würde sich die von Langenberg (aaO) zu Recht als „evident unhaltbar“ bezeichnete Situation ergeben, daß das Unterlassen der fristgerechten Abrechnung zum völligen Verlust des Aufwendungsersatzanspruchs des Vermieters führen würde. Eine so weitgehende Auslegung wäre weder mit dem Wortlaut der Vorschrift zu vereinbaren noch durch ihren Schutzzweck geboten (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. November 2004 – VIII ZR 115/04 unter II 1 b). Auch den Gesetzesmaterialien läßt sich nichts dafür entnehmen, daß der Gesetzgeber die Bestimmung des § 556 Abs. 3 Satz 3 in diesem weitreichenden Sinn verstanden hat (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs zum Mietrechtsreformgesetz, BT-Drucks. 14/4553 S. 51 unter 4 c a.E.). Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens sind in § 556 Abs. 3 BGB zwar noch die Sätze 5 und 6, die einen Einwendungsausschluß auch für den Mieter vorsehen, hinzugefügt worden (Haas, Das neue Mietrecht – Mietrechtsreformgesetz, S.158 ff.); Satz 3 ist jedoch unverändert geblieben. – 18 – III. Nach alledem kann das Berufungsurteil mit der gegebenen Begründung insgesamt keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da die Beklagte gegen die Klageforderung hilfsweise mit Gegenansprüchen wegen Mietrückständen aufgerechnet hat (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Hierauf ist das Berufungsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – bisher nicht eingegangen; das wird in der neuen Berufungsverhandlung nachzuholen sein. Dabei wird die Beklagte auch Gelegenheit haben, über die Betriebskosten für die Jahre 2000 und 2001 nachträglich abzurechnen.

Dr. Deppert Dr. Beyer Ball Dr. Wolst Hermanns

 

 

Neu eingeführte Nebenkosten bei Altverträgen

Der Mieter ist im Anschluss an die Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen (im Beispiel den Einbau eines Aufzugs) nicht automatisch verpflichtet, die hierbei entstehenden zusätzlichen Betriebskosten zu tragen, wenn dies nicht vereinbart ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann es nach Treu und Glauben nur in eng begrenzten Fällen, wie zum Beispiel bei der Umstellung von Ofenheizung auf Zentralheizung geben.

So sah es zumindest  das LG Berlin, Urteil vom 07.11.2006 – 65 S 169/06.

Unfallflucht und Wahrnehmung des Fremdschadens

Unfallflucht und Wahrnehmung des Fremdschadens


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

Az.: 7 U 155/00

Verkündet am 05.09.2001

Vorinstanz: Landgericht Frankfurt a.M. – Az.: 2-26 O 433/99


In dem Rechtsstreit hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. August 2001 für Recht erkannt:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22.08.2000 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das Urteil beschwert die Beklagte mit DM 56.448,28.

Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 543 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Dem Kläger ist durch das angefochtene Urteil mit Recht bedingungsgemäße Entschädigung aus der Fahrzeugvollversicherung in nach Abzug von Mehrwertsteuer und Selbstbeteiligung unstreitiger Höhe von DM 56.448,28 gemäß § 1, 49 VVG, 12,13 AKB zugesprochen worden.

Die Beklagte kann nicht Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß §71.2. Satz 3, V. 4. AKB, 6 Abs. 3 VVG beanspruchen.

Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung, der der Senat folgt, ist bei einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort der Versicherer beweisbelastet für den Umstand, dass der Versicherungsnehmer den Unfall und einen dadurch eingetretenen Fremdschaden wahrgenommen hat. Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG gilt erst, wenn feststeht, dass der Versicherungsnehmer den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 142 StGB verwirklicht hat (BGH VersR 70, 801, 802; OLG Hamm r + s 93, 4; Stiefel-Hofmann, 17. Aufl. AKB § 7 Rn. 79; Prölss-Knappmann, 26. Aufl., § 7 AKB Rn. 19). Etwas anderes gilt lediglich, wenn nicht der objektive und subjektive Tatbestand des § 142 StGB, sondern die Schuldfähigkeit des Versicherungsnehmers, z.B. infolge eines behaupteten Unfallschocks, in Rede steht. Schuldausschließungsgründe stehen zur Beweislast des Versicherungsnehmers (Senat, Urteil vom 14.01.2001 Az.: 7 U 23/00 mit Nachweisen). Soweit die Beklagte sich zur Begründung ihrer Ansicht, aus § 6 Abs. 3 VVG ergebe sich auch ohne Nachweis der Kenntnis des Versicherungsnehmers von dem Unfall und seinen Folgen die Vermutung für eine vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, sich auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in VersR 98, 577; 00, 222 beruft, tragen diese Entscheidungen die von der Beklagten geltend gemachte Ansicht nicht.

Der Nachweis, dass der Kläger den bei dem Unfall an dem Wildzaun entstandenen Schaden bemerkt hat, ist nicht geführt und kann mit den von der Beklagten angebotenen Beweismitteln nicht geführt werden. Der Kläger hat bei hoher Geschwindigkeit, nämlich ungefähr 140 km/h, die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und ist von der Fahrbahn der Autobahn abgekommen. Das Fahrzeug hat sich in der Folge überschlagen und den Wildzaun durchbrochen. Es kam etwa 100 m von der Stelle, an der der Zaun durchbrochen wurde, im Buschwerk zum Stillstand. Die Behauptung des Klägers, er sei nach dem Unfall nicht zur Fahrbahn zurückgegangen, sondern habe den Unfallort in anderer Richtung, nämlich in Richtung K., wo er Lichter wahrnahm, verlassen und deshalb den beschädigten Zaun nicht gesehen, ist nicht widerlegt. Dass der Kläger während des Unfallgeschehens wahrgenommen hat, dass sein Fahrzeug den Wildzaun durchbrach, ergibt sich jedenfalls nicht zwangsläufig aus den Umständen. Selbst wenn die Behauptung der Beklagten, der 2 m hohe Maschendrahtzaun, der an 80 cm tief eingegrabenen Pfosten befestigt gewesen sei, sei auf einer Strecke von 25 m durchbrochen worden, als richtig unterstellt wird, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass der Kläger dies wahrgenommen hat. Die Möglichkeit, solche Wahrnehmungen zu machen, war von vornherein eingeschränkt, weil der Unfall zur Nachtzeit geschah. Im übrigen steht nicht fest und ist auch nachträglich nicht mehr zu rekonstruieren, ob sich das Fahrzeug des Klägers überschlagen hat, bevor es den Zaun durchbrach, oder erst danach. Wenn aber nicht auszuschließen ist, dass sich das Fahrzeug bereits vorher überschlug, liegt es fern, dass der Kläger noch genauere Beobachtungen über den Ablauf des Unfallgeschehens gemacht hat. Der von der Beklagten angebotene Sachverständigenbeweis, mit dem Beweis für die Behauptung angetreten wird, es sei auch bei hoher Geschwindigkeit auszuschließen, dass das Durchbrechen eines derartigen Wildzaunes einem nüchternen und nicht unter Drogen stehenden Pkw-Fahrer unbemerkt bleibe, ist zum Beweis, dass der Kläger die hier erheblichen Wahrnehmungen tatsächlich gemacht hat, gänzlich ungeeignet. Denn dabei bleibt unberücksichtigt, dass sich das Fahrzeug bereits vor der Annäherung an den Wildzaun überschlagen haben kann, was die Wahrnehmungsmöglichkeiten eines Fahrers offensichtlich derart einschränkt, dass aus allgemeinen Erfahrungssätzen über die Wahrnehmungsmöglichkeiten von Pkw-Fahrern bei Unfällen auf die tatsächlich erfolgte Wahrnehmung nicht mehr zuverlässig geschlossen werden kann.

Der Vorwurf, der Kläger habe, nachdem er sich vom Unfallort entfernt, seine Wohnung aufgesucht und sich ausgeschlafen hatte, nicht unverzüglich nachträglich erforderliche Feststellungen ermöglicht, ist gleichfalls nicht begründet. Da nicht feststeht, dass der Kläger vom Fremdschaden Kenntnis hatte, bestand für ihn auch nachträglich kein Anlass, spätere Feststellungen zu ermöglichen.

Auch eine grob fahrlässige Verletzung der Aufklärungspflicht liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Aufklärungspflicht, die objektiv mit dem Versicherungsfall, also einem Unfall mit Fremdschaden, entsteht, auch grob fahrlässig dadurch verletzt werden, dass der Versicherungsnehmer, obwohl er Anhaltspunkte für einen Unfall mit Fremdschaden hat, sich nicht darüber vergewissert, sondern ohne nähere Nachforschungen die Unfallstelle verlässt (BGH VersR 70, 241; 70, 613; 70, 732; Stiefel-Hofmann, 17. Aufl., AKB, § 7 Rn. 79). Den Beweis, dass keine grob fahrlässige Verletzung der Aufklärungspflicht vorliegt, muss in diesen Fällen der Versicherungsnehmer führen. Misslingt dieser Beweis, ist der Versicherer leistungsfrei, wenn die Verletzung der Obliegenheit die Feststellung des Versicherungsfalles oder den Umfang der Leistung beeinflusst hat; dass dies nicht der Fall gewesen ist, steht gleichfalls zur Beweislast des Versicherungsnehmers (Pröls-Martin, 26. Aufl., VVG § 6 Rn. 105).

Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger aber nicht grob fahrlässig der Erkenntnis, dass er einen Unfall mit Fremdschaden verursacht hatte, verschlossen.

An dem Unfall war kein weiteres Fahrzeug beteiligt. Die Fahrbahn war auch nicht durch Leitplanken begrenzt. Dem Kläger musste sich deshalb nicht die Erforderlichkeit aufdrängen, dass er sich über die Beteiligung anderer Fahrzeuge oder die Beschädigung fahrbahnbegrenzender Einrichtungen vergewissern musste. Der Gedanke, es könne ein Wildzaun beschädigt sein, liegt jedenfalls nicht so nahe, dass er sich jedem in der Lage des Klägers befindlichen Fahrzeugführer aufdrängen musste. Dass der Kläger eine Nachschau bis zu dem Bereich, an dem er von der Fahrbahn abgekommen war, unterlassen hat, ist auch subjektiv nicht unentschuldbar. Der Kläger war, was jedenfalls im Kern unstreitig ist, verletzt. Er hatte eine Gehirnerschütterung und eine Fußverletzung erlitten. Es erscheint daher nicht ganz unverständlich, dass der Kläger sich zunächst um sich selbst und nicht um die Frage kümmerte, ob möglicherweise ein Zaun beschädigt war.

Die Beklagte ist auch nicht gemäß § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles von ihrer Leistungspflicht frei, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Auf diese von der Berufung nicht angefochtenen Ausführungen nimmt der Senat Bezug (§ 543 ZPO).

Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Landgericht Zinsen in der zuerkannten Höhe zugesprochen hat. Den Zinssatz hat der Kläger mit seiner Bankbescheinigung nachgewiesen. Dass der zu diesem Zinssatz in Anspruch genommene Kredit unfallbedingt aufgenommen worden ist, ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Kläger bei rechtzeitiger Zahlung den Kredit hätte zurückführen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.